Afghanistan II
In meinem Blog vom 14.08.2019 habe ich über die Vorabentscheidung des EuGH im Rechtsstreit zwischen der Bundesregierung und der Funke Mediengruppe betreffend die Veröffentlichung der sogenannten "Afghanistan-Papiere" (Urteil vom 29.07.2019; AfP 2019, 416) berichtet und die Einschätzung geäußert, dass der BGH, an den der EuGH den Fall zurück verwiesen hatte, die Klage der Bundesregierung am Ende werde abweisen müssen; wobei der EuGH die Frage offen gelassen hatte, ob dies mit mangelnder Urheberrechtsfähigkeit der in Rede stehenden Texte oder einer grundrechtskonformen Auslegung der Bestimmung des § 50 UrhG zu begründen sein werde. Rechtzeitig zum internationalen Tag der Pressefreiheit am 03.05. hat der BGH mit Urteil vom 30.04.2020 (I ZR 139/15) zu einer dieser beiden Fragen Klarheit geschaffen und die Klage gegen die Bundesregierung erwartungsgemäß abgewiesen.
Zur Erinnerung: Die Funke-Mediengruppe hatte zur Unterrichtung des Parlaments im Bundesverteidigungsministerium erstellte Berichte vollständig im Wortlaut in das von ihr betriebene Online-Portal der WAZ eingestellt, und zwar versehen mit einem erläuternden Einleitungstext, weiterführenden Links und einer Einladung an den Leser zur interaktiven Partizipation.
Das LG und das OLG Köln hatten der auf das Urheberrecht der Verfasser der Afghanistan-Papiere gestützten Klage stattgegeben, der BGH hatte das Verfahren zur Klärung von durch Art. 5 Abs. 2 c und Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 EG zur Harmonisierung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft aufgeworfener Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 29.07.2019 die Frage aufgeworfen, ob die hier in Rede stehenden Texte überhaupt als dem Urheberrechtsschutz unterliegende Sprachwerke anzusehen sind und ob die Funke- Mediengruppe - wolle man das bejahen - sich nicht auf die Bestimmung des § 50 UrhG berufen könne, durch die Berichte über Tagesereignisse in einem bestimmten Umfang unter Verwendung geschützter Werke statthaft sind.
In seinem Urteil vom 30.04.2020 hat der BGH die erste dieser beiden Fragen erneut unbeantwortet gelassen und zugunsten der klagenden Bundesregierung die Schutzfähigkeit der Texte unterstellt. Im Lichte der EuGH-Entscheidung vom 29.07.2020 halte ich das für verfehlt. Nahe gelegen hätte demgegenüber die Auffassung, dass ausschließlich zur Unterrichtung des Parlaments im Dienstbetrieb eines Bundesministeriums erstellte Informationsschreiben nicht als eigene geistige Schöpfungen des oder der Verfasser anzusehen und dass sie stattdessen wie andere amtliche Dokumente im Anwendungsbereich von § 5 UrhG dem Urheberrechtsschutz schlechthin entzogen sind. Es entspricht m. E. nicht dem nach der Entscheidung des EuGH schon bei der Ermittlung der Werk-Eigenschaft im Sinne von § 2 UrhG zu berücksichtigenden Stellenwert der Kommunikationsgrundrechte der Grundrechtecharta, des Art. 10 EMRK und des Art. 5 Abs. 1 GG, dass der BGH diese Frage offen lässt und damit den zitierenden Medien das Risiko zuweist, mit derartigen Veröffentlichungen eine Verletzung von staatlichen Stellen wahrzunehmender Urheberrechte staatlicher Bediensteter zu begehen.
Umso erfreulicher ist es, dass der in diesem Fall zuständige I. Zivilsenat des BGH den zweiten Ball aufgenommen hat, den ihm der EuGH in seinem Urteil vom 29.07.2019 zugespielt hat: Die Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere in der durch die Funke-Mediengruppe praktizierten Form ist Berichterstattung . Sie ist nach der gebotenen Abwägung der Interessen der Bundesregierung am ausschließlichen Verwertungs- und Verbreitungsrecht an den Texten einerseits mit den Kommunikationsgrundrechten des Verlags andererseits durch die Ausnahmebestimmung des § 50 UrhG gedeckt, weil die Texte wirtschaftlich nicht verwertbar sind, an ihrer Veröffentlichung aber unter Berücksichtigung der politischen Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an Auslandseinsätzen ein hohes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Die im EuGH-Urteil vom 29.07.2019 unübersehbar angelegte Tendenz zur restriktiven Auslegung urheberrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte in der Kollision mit den europäischen und nationalen Kommunikationsgrundrechten der Medien wird vom BGH auf der Ebene der Auslegung des § 50 UrhG konsequent umgesetzt.