Vorbehalt eines nachrangigen Nießbrauchs
Der BFH hat entschieden, dass § 6 Abs. 1 BewG nicht für einen am Stichtag entstandenen, aber nachrangigen Nießbrauch gilt und bei der Schenkungsteuerfestsetzung der vorrangige und der nachrangige lebenslange Nießbrauch (als einheitliche Last) nur einmal mit dem höheren Vervielfältiger gem. § 14 BewG zu berücksichtigen sind.
Im Fall hatte die Klägerin (Kl.) von ihrer Mutter (M) einen GbR-Anteil unter Nießbrauchsvorbehalt geschenkt bekommen. In 2010 verschenkte sie diesen Anteil an ihre Töchter S (Az. d. BFH II R 11/19) und T (Az. d. BFH II R 12/19) – die Enkelinnen der M – wiederum unter Nießbrauchsvorbehalt, wobei der Nießbrauch der M vorrangig vor dem der Kl. fortbestehen sollte. Während das FA nur den Nießbrauch der M i.R.d. § 25 ErbStG a.F. berücksichtigte, begehrte die Kl. die Berücksichtigung des Kapitalwertes des nachrangigen Nießbrauchs.
Die Entscheidung des BFH soll anhand eines Zahlenbeispiels erläutert werden, wobei von folgenden Daten ausgegangen werden soll:
Steuerwert des GbR-Anteils | 600.000 € |
Jahreswert der Nutzung | 10.000 € |
Alter der M | 80 Jahre |
Alter der Kl. | 55 Jahre |
Das FA veranlagte danach wie folgt:
Bereicherung des Erwerbers | 600.000 € |
./. Freibetrag, § 16 ErbStG | 400.000 € |
Steuerpflichtiger Erwerb | 200.000 € |
Steuer 11 % | 22.000 € |
Ermittlung Stundungsbetrag gem. § 25 ErbStG:
Erwerb | 600.000 € |
./. Kapitalwert Nießbrauch M in 2010 (10.000 € x 7,125 [Vervielfältiger], BMF v. 1.10.2009, BStBl. I 2019, 1168) | 71.250 € |
Bereicherung des Erwerbers | 528.750 € |
./. Freibetrag, § 16 ErbStG | 400.000 € |
Steuerpflichtiger Erwerb | 128.750 € |
Abgerundet, § 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG | 128.700 € |
Steuer 11 % sofort fällig | 14.157 € |
Zu stundende Steuer gem. § 25 ErbStG a.F. | 7.843 € |
Das FA begründete die Berechnung damit, dass es sich beim Nießbrauch der Kl. um eine Last handele, deren Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängig sei und deshalb nach § 6 Abs. 1 BewG nicht zu berücksichtigen sei.
Die Kl. begehrte dagegen den Abzug des ihr zustehenden Nießbrauchs und ermittelte den Stundungsbetrag wie folgt:
Erwerb | 600.000 € |
./. Kapitalwert Nießbrauch Kl. in 2010 (10.000 € x 14,759 [Vervielfältiger], BMF v. 1.10.2009, BStBl. I 2019, 1168) | 147.590 € |
Bereicherung des Erwerbers | 452.410 € |
./. Freibetrag, § 16 ErbStG | 400.000 € |
Steuerpflichtiger Erwerb | 52.410 € |
Abgerundet, § 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG | 52.400 € |
Steuer 7 % sofort fällig | 3.668 € |
Zu stundende Steuer gem. § 25 ErbStG a.F. | 18.332 € |
Sie trug vor, dass der ihr eingeräumte Nießbrauch unbedingt, aber nachrangig zum Nießbrauch der M entstanden sei. Auch dieser nachrangige Nießbrauch unterliege dem Abzugsverbot und der Stundungsregelung des § 25 Abs. 1 ErbStG a.F.
Der BFH ist der Argumentation der Kl. gefolgt und hat der Revision gegen das Urteil des FG München (FG München v. 15.11.2017 – 4 K 204/15) stattgegeben. Es stützt sich dabei auf den Wortlaut des § 6 Abs. 1 BewG, der auf die rechtliche „Entstehung“ der Verpflichtung und nicht auf die Möglichkeit der Geltendmachung oder zwangsweise Durchsetzung durch den Berechtigten abstellt. Die Entstehung des nachrangigen Nießbrauchs wird durch die Existenz des vorrangigen älteren Nießbrauchs nicht verhindert.
Der BFH hat darüber hinaus entschieden, dass der vorrangige und der nachrangige Nießbrauch als einheitliche Last nur einmal, aber mit dem jeweils höheren Vervielfältiger abgezogen werden können, denn die Mehrheit von Nutzungsberechtigten führt nicht zu einer zusätzlichen Last, sondern allenfalls einer Verlängerung der Belastungsdauer.
Praxishinweise:
Nach Aufhebung des § 25 ErbStG mit Wirkung zum 1.1.2009 wird die Steuer, die auf den Nießbrauch entfällt, nicht mehr nur gestundet, sondern der Nießbrauch bei der Ermittlung der Bereicherung des Erwerbs mit dem Kapitalwert abgezogen. Nach aktueller Rechtslage wäre die Steuer also wie folgt zu ermitteln:
Erwerb | 600.000 € |
./. Kapitalwert Nießbrauch Kl. in 2010 (10.000 € x 14,759 [Vervielfältiger], BMF v. 1.10.2009, BStBl. I 2019, 1168) | 147.590 € |
Bereicherung des Erwerbers | 452.410 € |
./. Freibetrag, § 16 ErbStG | 400.000 € |
Steuerpflichtiger Erwerb | 52.410 € |
Abgerundet, § 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG | 52.400 € |
Steuer 7 % | 3.668 € |
Der Fall wäre anders zu entscheiden gewesen, wenn ein sog. Sukzessivnießbrauch vereinbart worden wäre, der zweite Nießbrauch also erst beim Tod des ersten Nießbrauchers entstanden wäre. In diesem Fall wäre der zweite Nießbrauch noch nicht entstanden und demnach auch nicht abzugsfähig. Derartige Gestaltungen sind also zu vermeiden.
BFH v. 6.5.2020 – II R 11/19, BFH v. 6.5.2020 – II R 12/19, ErbStB 2020, 313