06.08.2020

Amazon muss Streikmaßnahmen auf dem Parkplatz des Betriebsgeländes dulden

Nicht tarifgebundene Amazon-Niederlassungen müssen grds. Streikmaßnahmen auf dem betriebseigenen Parkplatz vor dem Eingang zum Betrieb dulden. Sie werden hierdurch nicht in ihren Grundrechten auf Eigentum und unternehmerische Handlungsfreiheit verletzt, da Gewerkschaften auf die Möglichkeit angewiesen sind, Beschäftigte ansprechen zu können, um ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG auszuüben. Die insoweit gebotene Abwägung der betroffenen Grundrechte durch die Fachgerichte sind hier verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

BVerfG v. 9.7.2020 - 1 BvR 719/19, 1 BvR 720/19
Der Sachverhalt:
An zwei Standorten der nicht tarifgebundenen Beschwerdeführerinnen kommt es seit 2014/2015 zu gewerkschaftlich initiierten Streiks. Die Gewerkschaft zielte hiermit auf die Anerkennung von den einschlägigen Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels ab. An den einzelnen Streiktagen versammelten sich Vertreter der Gewerkschaft mit den streikenden Beschäftigten kurz vor Schichtbeginn auf dem jeweiligen, sehr großen privaten Betriebsparkplatz. Die Betriebsparkplätze befinden sich direkt vor dem Haupteingang der Betriebe. Sie werden aufgrund der außerörtlichen Lage von fast allen Beschäftigten genutzt. Die arbeitswilligen Beschäftigten mussten durch die Ansammlung der Streikenden hindurchlaufen. Eine freigehaltene Streikgasse gab es nicht.

Das BAG entschied, die Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen ergebe, dass Amazon die Streikmaßnahmen hinzunehmen hatte (BAG v. 20.11.2018 - 1 AZR 12/17, BAG v. 20.11.2018 - 1 AZR 189/17, ArbRB 2019, 105 [Grimm]). Das BVerfG nahm die dagegen erhobenen Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:
Das Ergebnisse der fachgerichtlichen Entscheidungen sind nicht zu beanstanden. Das BAG hat seinen Entscheidungen zutreffend die Wertungen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG und der unternehmerischen Handlungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zugrunde gelegt. Zu Recht hat das BAG nicht auf die negative Koalitionsfreiheit des Unternehmens aus Art. 9 Abs. 3 GG abgestellt, da diese lediglich das Recht umfasst, sich nicht zu Koalitionen zusammenzuschließen, bestehenden Koalitionen fernzubleiben sowie aus diesen auszutreten. Der Streik zielte jedoch nicht darauf ab, Amazon eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband aufzudrängen. Das Ziel war die Anerkennung einschlägiger Flächentarifverträge. Es ist nicht Bestandteil der negativen Koalitionsfreiheit, von jeglicher Betätigung der Koalitionen gänzlich verschont zu bleiben.

Das BAG hat das Recht der Gewerkschaft aus Art. 9 Abs. 3 GG, das insbesondere den Abschluss von Tarifverträgen und das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen einschließlich des Streiks umfasst, in angemessener Weise in die Abwägung der betroffenen Rechtspositionen einbezogen. Die Gewerkschaften müssen ihr Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG auch wahrnehmen können. Dazu gehört ggf. die direkte persönliche Ansprache von Arbeitswilligen vor Antritt der Arbeit, um sie zum Streik zu mobilisieren. Die damit einhergehenden Einschränkungen muss der Arbeitgeber, hier also Amazon hinnehmen.

Das BAG hat die Grundrechte der Gewerkschaft auch nicht einseitig privilegiert, da das Eigentumsrecht von Amazon nicht gänzlich hinter den Rechten der Gewerkschaft zurücktreten musste, auch wenn keine Streikgassen gebildet wurden. Die Arbeitswilligen waren aufgrund der Größe des Parkplatzes trotz des Streiks nicht daran gehindert, ihr Auto zu parken und zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen.

BVerfG PM Nr. 67/2020 v. 5.8.2020
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