Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Bahncard für Betriebsratsmitglied?
LAG Köln v. 28.7.2022 - 6 TaBVGa 4/22
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten im Eilverfahren um die Frage, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Vorsitzenden des Betriebsrats eine Bahncard100 zur Verfügung zu stellen. Der Betriebsrat mit Sitz in Frankfurt a.M. ist gewählt für Beschäftigte in Hessen, in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Die Beklagte befasst sich u.a. mit dem Handel von Sportartikeln. In einer Gesamtbetriebsvereinbarung von Januar 2021 zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Arbeitgeberin heißt es u.a.:
"Der Arbeitgeber wird die Reisekosten in der Region übernehmen und die Buchungen vornehmen. Dieses gilt wie folgt:
Zu 100% freigestellte Betriebsratsmitglieder gem. § 38 BetrVG (Optionen nach der Wahl des Betriebsratsmitglieds):
Option 1: der Arbeitgeber stellt dem Betriebsratsmitglied eine Bahncard100, 2. Klasse, zur Verfügung: Im Gegenzug verzichtet das Betriebsratsmitglied auf die Geltendmachung von weiteren Fahrtkosten gegenüber dem Arbeitgeber.
Option 2: Der Arbeitgeber übernimmt die tatsächlich entstandenen Reisekosten des Betriebsratsmitglieds gegen Vorlage".
Der zu 100 % freigestellte Vorsitzende des Betriebsrats wählte die Option 1. Eine Bahncard100 ist ihm jedoch nicht zur Verfügung gestellt worden. Der Betriebsrat begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Gewährung einer Bahncard100.
Das ArbG wies den Antrag ab. Die Beschwerde der Klägerin hatte vor dem LAG keinen Erfolg. Die Revision zum BAG wurde zugelassen.
Die Gründe:
Das ArbG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht und mit zutreffender Begründung, nämlich unter Hinweis auf die fehlende Eilbedürftigkeit, zurückgewiesen.
Es fehlt dem Begehren des Betriebsrats am notwendigen Verfügungsgrund. Die Vorschriften der §§ 935 und 940 ZPO, die auch im Beschlussverfahren anwendbar sind, machen deutlich, dass einstweilige Verfügungen unvertretbare Verzögerungen bei der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen überbrücken sollen. Nach näherer Maßgabe der zitierten Vorschriften ist ein Verfügungsgrund dann gegeben, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Vorliegend sind keine Tatsachen ersichtlich, die eine solche Unzumutbarkeit begründen könnten. Die vom Betriebsrat begehrte Gewährung der Bahncard100 ist zur Abwendung wesentlicher bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens drohender Nachteile aus den folgenden Gründen nicht erforderlich.
Der Betriebsratsvorsitzende kann die Reisen durchführen, ohne dafür sein eigenes Geld einzusetzen, indem er frühzeitig bei der Arbeitgeberin das Verfahren der sog. Travel Sheets nutzt. In den Monaten Juni, Juli und August 2022 steht und stand für den Nahverkehr zudem das 9-Euro-Ticket zur Verfügung. Weiterhin kann der Betriebsratsvorsitzende die Reisen zu den auswärtigen Betriebsstätten durchführen, ohne eine "Erforderlichkeitsprüfung" durch die Arbeitgeberin befürchten zu müssen. Der Betriebsrat konnte nämlich keinen einzigen Fall nennen, in dem eine Reise zu den auswärtigen Betriebsstätten von der Arbeitgeberin als nicht erforderlich erachtet worden wäre. Außerdem wird die Voraussetzung der Erforderlichkeit in § 37 Abs. 6 BetrVG und § 40 Abs. 2 BetrVG als solche allgemein nicht als Beeinträchtigung der Betriebsratsarbeit betrachtet.
Und schließlich hat der Betriebsratsvorsitzende die Möglichkeit, die Reisekosten vorzustrecken und sich diese von der Arbeitgeberin erstatten zu lassen. Dem steht sein Vorbringen, er habe dafür nicht genügend liquide Mittel zur Verfügung, nicht entgegen. Jedenfalls würde eine Bahncard100 die von ihm beschriebene finanzielle Misere nicht lindern. Das Gegenteil wäre der Fall. Bei den in den ersten Monaten des Jahres 2022 angefallenen Reisekosten wurde ein monatlicher Betrag aufgewendet, der die Kosten einer Bahncard100 nicht annährend erreichte (eher nur 10 % desselben). Der Betriebsratsvorsitzende müsste daher die Gewährung der Bahncard100 weitgehend als geldwerten Vorteil versteuern. Nach überschlägiger Berechnung würde die Minderung seines Nettoeinkommens durch die zusätzliche Steuerbelastung die bisher für die Bahnkarten aufgewendeten Kosten deutlich übersteigen.
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Aufsatz
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Björn Gaul / Saskia Pitzer, ArbRB 2022, 243
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Die Beteiligten streiten im Eilverfahren um die Frage, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Vorsitzenden des Betriebsrats eine Bahncard100 zur Verfügung zu stellen. Der Betriebsrat mit Sitz in Frankfurt a.M. ist gewählt für Beschäftigte in Hessen, in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Die Beklagte befasst sich u.a. mit dem Handel von Sportartikeln. In einer Gesamtbetriebsvereinbarung von Januar 2021 zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Arbeitgeberin heißt es u.a.:
"Der Arbeitgeber wird die Reisekosten in der Region übernehmen und die Buchungen vornehmen. Dieses gilt wie folgt:
Zu 100% freigestellte Betriebsratsmitglieder gem. § 38 BetrVG (Optionen nach der Wahl des Betriebsratsmitglieds):
Option 1: der Arbeitgeber stellt dem Betriebsratsmitglied eine Bahncard100, 2. Klasse, zur Verfügung: Im Gegenzug verzichtet das Betriebsratsmitglied auf die Geltendmachung von weiteren Fahrtkosten gegenüber dem Arbeitgeber.
Option 2: Der Arbeitgeber übernimmt die tatsächlich entstandenen Reisekosten des Betriebsratsmitglieds gegen Vorlage".
Der zu 100 % freigestellte Vorsitzende des Betriebsrats wählte die Option 1. Eine Bahncard100 ist ihm jedoch nicht zur Verfügung gestellt worden. Der Betriebsrat begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Gewährung einer Bahncard100.
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Die Gründe:
Das ArbG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht und mit zutreffender Begründung, nämlich unter Hinweis auf die fehlende Eilbedürftigkeit, zurückgewiesen.
Es fehlt dem Begehren des Betriebsrats am notwendigen Verfügungsgrund. Die Vorschriften der §§ 935 und 940 ZPO, die auch im Beschlussverfahren anwendbar sind, machen deutlich, dass einstweilige Verfügungen unvertretbare Verzögerungen bei der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen überbrücken sollen. Nach näherer Maßgabe der zitierten Vorschriften ist ein Verfügungsgrund dann gegeben, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Vorliegend sind keine Tatsachen ersichtlich, die eine solche Unzumutbarkeit begründen könnten. Die vom Betriebsrat begehrte Gewährung der Bahncard100 ist zur Abwendung wesentlicher bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens drohender Nachteile aus den folgenden Gründen nicht erforderlich.
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Und schließlich hat der Betriebsratsvorsitzende die Möglichkeit, die Reisekosten vorzustrecken und sich diese von der Arbeitgeberin erstatten zu lassen. Dem steht sein Vorbringen, er habe dafür nicht genügend liquide Mittel zur Verfügung, nicht entgegen. Jedenfalls würde eine Bahncard100 die von ihm beschriebene finanzielle Misere nicht lindern. Das Gegenteil wäre der Fall. Bei den in den ersten Monaten des Jahres 2022 angefallenen Reisekosten wurde ein monatlicher Betrag aufgewendet, der die Kosten einer Bahncard100 nicht annährend erreichte (eher nur 10 % desselben). Der Betriebsratsvorsitzende müsste daher die Gewährung der Bahncard100 weitgehend als geldwerten Vorteil versteuern. Nach überschlägiger Berechnung würde die Minderung seines Nettoeinkommens durch die zusätzliche Steuerbelastung die bisher für die Bahnkarten aufgewendeten Kosten deutlich übersteigen.
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Björn Gaul / Saskia Pitzer, ArbRB 2022, 243
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