14.07.2011

Arbeitgeber kann Anhörungsschreiben zur Kündigung auch dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden übergeben

Der Arbeitgeber muss das Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Kündigung eines Arbeitnehmers zwar grds. dem Betriebsratsvorsitzenden übergeben. Ist dieser auf der maßgeblichen Versammlung aber nicht anwesend, kommt auch eine Übergabe an den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden in Betracht. Das folgt aus § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, wonach im Fall der Verhinderung des Vorsitzenden dessen Stellvertreter zur Entgegennahme von Erklärungen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, berechtigt ist.

BAG 7.7.2011, 6 AZR 248/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war in Leipzig in einem von 47 Modefachgeschäften der Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Am 1.11.2008 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung der Insolvenzmasse unter der Aufsicht eines Sachwalters angeordnet. Zur wirtschaftlichen Sanierung plante die Beklagte u.a. die Schließung von mehreren Filialen.

Am 17.11.2008 kam es zu einer Betriebsräteversammlung. Hierbei einigten sich der Gesamtbetriebsrat und die Beklagte mit Zustimmung des Sachwalters auf einen Interessenausgleich mit Namensliste, der u.a. die Schließung der Leipziger Filiale und die Kündigung der Klägerin vorsah. Da der Betriebsratsvorsitzende der Leipziger Filiale nicht zur Betriebsräteversammlung erschienen war, händigte die Beklagte dort seiner Stellvertreterin das Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin aus.

Die Beklagte fügte ihrer Massenentlassungsanzeige den Interessenausgleich bei und kündigte nach Eingang des Bescheids der Agentur für Arbeit das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 28.2.2009. Mit ihrer hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage rügte die Klägerin eine nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung, da das Anhörungsschreiben dem Betriebsratsvorsitzenden hätte übergeben werden müssen, sowie eine nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige, weil dieser keine Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats beigefügt gewesen sei.

Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wirksam gekündigt.

Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin angehört worden. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte das Anhörungsschreiben nicht dem Betriebsratsvorsitzenden, sondern seiner Stellvertreterin übergeben hat. Zur Entgegennahme von Mitteilungen über die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ist nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG im Fall der Verhinderung des Vorsitzenden des Betriebsrats auch sein Stellvertreter berechtigt.

Ein solcher Fall lag hier vor, da der Vorsitzende mangels Teilnahme an der Betriebsräteversammlung tatsächlich verhindert war. Das Anhörungsschreiben ist dem Betriebsrat der Filiale Leipzig folglich noch am 17.11.2008 zugegangen.

Es liegt auch eine wirksame Massenentlassungsanzeige vor. Wenn der Arbeitgeber - wie hier die Beklagte - eine Vielzahl von Entlassungen (Massenentlassung) beabsichtigt, hat er diese nach Maßgabe des § 17 KSchG der Agentur für Arbeit zwar nicht nur anzuzeigen, sondern der Anzeige auch eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Im Insolvenzfall ersetzt aber gem. § 125 Abs. 2 InsO ein zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat zustande gekommener Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats, wenn in dem Interessenausgleich die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind.

Nach diesen Grundsätzen musste die Beklagte ihrer Massenentlassungsanzeige keine Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats der Leipziger Filiale beifügen. Für ein Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung gelten insoweit nach § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO grds. die gleichen Vorschriften wie für ein Regelinsolvenzverfahren. Maßgebend ist, dass der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für den Abschluss des betriebsübergreifenden Interessenausgleichs zuständig war und in diesem die Arbeitnehmer namentlich bezeichnet waren, denen gekündigt werden sollte.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.
BAG PM Nr. 57 vom 7.7.2011
Zurück