14.03.2017

Arbeitgeber können das Tragen eines islamischen Kopftuchs am Arbeitsplatz grds. verbieten

Durch eine unternehmensinterne Regelung, die das sichtbare Tragen politischer, philosophischer oder religiöser Zeichen am Arbeitsplatz untersagt, werden Arbeitnehmerinnen, die ein islamisches Kopftuch tragen möchten, nicht unmittelbar wegen ihrer Religion diskriminiert. Eine Diskriminierung kommt aber in Betracht, wenn in einem Unternehmen keine allgemeine Neutralitätsregelung besteht und der Arbeitgeber das Tragen eines islamischen Kopftuchs nur deshalb untersagt, um damit dem Wunsch eines Kunden nachzukommen.

EuGH 14.3.2017, C-157/15 und C-188/15
Der Sachverhalt:
Der EuGH hatte über Vorlagefragen zweier nationaler Gerichte betreffend die Auslegung der Unionsrichtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2007/08/EG) zu entscheiden. Beiden nationalen Verfahren liegen Entlassungen von Arbeitnehmerinnen zugrunde, die am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch tragen wollten.

Im ersten Fall (Rs. C-157/15) erklärte die Arbeitnehmerin, künftig ein Kopftuch bei der Ausübung ihrer Tätigkeit als Rezeptionistin tragen zu wollen. Der Arbeitgeber nahm daraufhin ein bislang ungeschriebenes unternehmensinternes Neutralitätsgebot in Abstimmung mit dem Betriebsrat in die Arbeitsordnung auf. Danach ist es den Arbeitnehmern verboten, sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugung zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen. Das mit der Anfechtung der Entlassung befasste belgische Gericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob das aus der internen Regelung resultierende Kopftuchverbot eine unmittelbare Diskriminierung darstellt.

Im anderen Fall (Rs. C-188/15) war eine Software-Designerin der Aufforderung des Arbeitgebers nach Neutralität gegenüber Kunden nicht nachgekommen. Hier hat sich das französische Gericht erkundigt, ob der Wille eines Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht von einer Arbeitnehmerin mit islamischem Kopftuch erbringen zu lassen, als eine Ungleichbehandlungen rechtfertigende "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" i.S.d. Richtlinie gesehen werden kann.

Der EuGH hat die Vorlagefrage im ersten Fall bejaht und im zweiten Fall verneint.

Die Gründe:
Eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbietet, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar. Zwar schützt die Richtlinie 2007/08/EG auch die Freiheit der Person, ihre religiöse Überzeugung öffentlich zu bekunden. Ein unternehmensinternes Neutralitätsgebot bezieht sich aber unterschiedslos auf jede Bekundung von Überzeugungen. Dabei werden alle Arbeitnehmer gleich behandelt und angehalten, sich neutral zu kleiden.

Wenn sich aus der scheinbar neutralen Vorschrift eine faktische Benachteiligung von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung ergibt, könnte sie allerdings mittelbar diskriminierend wirken. Eine solche mittelbare Diskriminierung kann jedoch durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt sein, wenn die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, diese Voraussetzungen zu prüfen.

Hat ein Unternehmen kein solches internes Neutralitätsgebot aufgestellt, ist ein Kopftuchverbot des Arbeitgebers nur dann nicht diskriminierend, wenn es eine entscheidende und wesentliche berufliche Anforderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie darstellt. Hierfür reicht der Wille des Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht aus. Die Wesentlichkeit ist nach objektiven Maßstäben wie der Art der Tätigkeit zu beurteilen; subjektive Ziele wie die Berücksichtigung eines Kundenwunsches sind nicht einzubeziehen.

Linkhinweise:
Die Volltexte der Entscheidungen sind auf den Webseiten des EuGH veröffentlicht.

Für den Volltext der Entscheidung in der Rs. C-157/15 klicken Sie bitte hier.

Den Volltext der Entscheidung in der Rs. C-188/15 finden Sie hier.

EuGH PM Nr. 30/17 vom 14.3.2017
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