01.07.2016

Arbeitgeber müssen für karitativen Bereich nicht ohne weiteres eine schwerbehinderungsrechtliche Ausgleichsabgabe zahlen ("Ärzte ohne Grenzen")

Bei der Ermittlung der Höhe der schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe bleiben gem. § 73 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX solche Personen außer Betracht, deren Tätigkeit nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt ist. Der Ausnahmetatbestand setzt nicht voraus, dass für die Beschäftigung keinerlei Gegenleistung erbracht wird, sondern lediglich, dass die gewährten Zuwendungen nicht schwerpunktmäßig der Gewinnerzielung dienen. Diese Voraussetzung ist bei den im Ausland eingesetzten Hilfskräften von "Ärzte ohne Grenzen" möglicherweise erfüllt.

BVerwG 30.6.2016, 5 C 1.15
Der Sachverhalt:
Der klagende Verein "Ärzte ohne Grenzen" beschäftigt Mitarbeiter im In- und Ausland. Mit den für die Hilfseinsätze im Ausland rekrutierten Freiwilligen schließt der Kläger im Inland befristete Anstellungsverträge und zahlt ihnen eine monatliche Aufwandsentschädigung. Diese betrug bei Personen ohne Vorerfahrung seinerzeit 925 Euro. Außerdem übernimmt er die Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung vor Ort. Die Hilfseinsätze im Ausland dauern in der Regel bis zu neun Monaten.

Bei der vom Kläger für die Jahre 2010 und 2011 der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilten Anzahl der Arbeitsplätze wurden diese Auslandsstellen zunächst mitgezählt. In der Folgezeit machte der Kläger geltend, die Stellen dürften nicht berücksichtigt werden. Dies lehnte der Beklagte ab.

Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Rückzahlung eines Teils (insgesamt etwa 35 400 Euro) der von ihm in den Jahren 2010 und 2011 entrichteten Ausgleichsabgabe. VG und OVG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob das BVerwG das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OVG zurück.

Die Gründe:
Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung eines Teils der von ihm geleisteten Ausgleichsabgabe hat.

Nach § 77 SGB IX müssen Arbeitgeber, die nicht die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen beschäftigen, grds. für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe entrichten. Bei der Berechnung dieser Abgabe sind allerdings gem. § 73 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX solche Stellen nicht zu berücksichtigen, auf denen Personen beschäftigt werden, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt ist.

Soweit § 73 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX eine nicht in erster Linie dem Erwerb dienende Beschäftigung voraussetzt, ist eine objektivierte stellenbezogene Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände erforderlich. Es kommt nicht darauf an, ob für die Beschäftigung überhaupt eine Gegenleistung erbracht wird, sondern darauf, ob die gewährten Zuwendungen nicht schwerpunktmäßig der Gewinnerzielung dienen.

Die insoweit in Bezug auf die betroffenen Stellen gebotenen tatsächlichen Feststellungen fehlen. Daher war das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Solche Feststellungen sind notwendig, weil die Beschäftigung auf diesen Stellen vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt war und damit die weitere Voraussetzung des Ausnahmetatbestands erfüllt ist.

BVerwG PM Nr. 64/16 vom 30.6.2016
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