Arbeitnehmer haben Anspruch auf finanzielle Vergütung des vor Ende des Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchten Jahresurlaubs
EuGH 20.7.2016, C-341/15Der Kläger war Beamter der Stadt Wien. Vom 15.11.2010 bis zum 30.6.2012, dem Zeitpunkt seiner Versetzung in den Ruhestand, erschien er nicht zum Dienst. In der Zeit vom 15.11.2010 bis zum 31.12.2010 fehlte er krankheitsbedingt. Die übrigen Abwesenheiten zwischen dem 1.1.2011 und dem 30.6.2012 gründeten auf zwei dienstlichen Vereinbarungen.
Nach Eintritt in den Ruhestand verlangte der Kläger von der Arbeitgeberin, ihm eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen. Die Arbeitgeberin wies die Forderung mit der Begründung zurück, nach der Besoldungsordnung der Stadt Wien habe ein Arbeitnehmer, der das Unterbleiben des Verbrauchs des Urlaubs zu vertreten habe, u.a. wenn er von sich aus das Arbeitsverhältnis beende indem er die Versetzung in den Ruhestand beantrage, keinen Anspruch auf eine solche Vergütung.
Das mit der Sache befasste Verwaltungsgericht Wien legte dem EuGH die Frage vor, ob eine solche Regelung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2003/88 vereinbar sei. Der EuGH stellte fest, dass die nationale Regelung der Richtlinie widerspricht.
Die Gründe:
Nach dem Wortlaut von Art.7 Abs.1 der Richtlinie 2003/88 hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen, unabhängig vom Gesundheitszustand. Wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und es deshalb nicht mehr möglich ist, bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, hat der Arbeitnehmer nach Art.7 Abs.2 der Richtlinie 2003/88 Anspruch auf eine finanzielle Vergütung.
Die Richtlinie stellt keine andere Voraussetzung für die Eröffnung des Anspruchs auf finanzielle Vergütung auf, als dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spielt keine Rolle. Daher hat der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet, keine Auswirkungen auf eine etwaige finanzielle Vergütung.
Infolgedessen steht Art.7 Abs.2 der Richtlinie 2003/88 der nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht. Weiterhin ist die Vorschrift dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer beim Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub hat, den er aus Krankheitsgründen nicht nehmen konnte. Denn nach ständiger Rechtsprechung wird mit dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankerten Anspruch auf Jahresurlaub ein doppelter Zweck verfolgt, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Somit war zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Anspruchs auf Jahresurlaub für den vorliegenden Fall festzustellen, dass ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte. Hierüber muss das vorlegende Gericht jedoch noch weitere Feststellungen treffen.
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