19.03.2025

Arbeitnehmerüberlassung: Voraussetzungen für das sog. Konzernprivileg

Das Rechtsfolgensystem der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 AÜG ist nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG auf die Überlassung zwischen Konzernunternehmen iSd. § 18 AktG nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden ist (sog. Konzernprivileg). Die Konjunktion "und" beschreibt ein alternatives Verhältnis der Merkmale Einstellung und Beschäftigung. Das Konzernprivileg ist danach bereits ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt "oder" beschäftigt wird.

BAG v. 12.11.2024 - 9 AZR 13/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger war von Juli 2008 bis August 2020 bei der Firma S GmbH als Sitzefertiger angestellt. Seine vertraglich geschuldete Tätigkeit verrichtete er auf dem Werksgelände der Beklagten. Die genauen Umstände, unter denen der Kläger seine Arbeitsleistung erbracht hatte, blieben zwischen den Parteien umstritten. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der Automobilindustrie. Sie und die S GmbH waren während der Beschäftigungsdauer des Klägers konzernverbundene Unternehmen.

Der Kläger war der Ansicht, zwischen den Parteien sei ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, weil er bei der Beklagten im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden sei. Die vertragliche Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und der S GmbH sei nicht dienst- oder werkvertraglicher Natur gewesen, sondern als Arbeitnehmerüberlassung zu qualifizieren. Außerdem behauptete der Kläger, auf dem Gelände der Beklagten in einen von dieser organisierten Arbeitsprozess eingegliedert gewesen zu sein und seine Weisungen von deren Mitarbeitern erhalten zu haben.

Der Kläger hat zuletzt gerichtlich beantragt festzustellen, dass zwischen den Parteien seit Mai 2017, hilfsweise seit Mai 2018 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen war; hilfsweise für den Fall, dass dem ersten Antrag stattgegeben wird, die Beklagte zu verurteilen, ihn als Sitzefertiger zu beschäftigen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt. Auf die Revision des Klägers hat das BAG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Die Annahme des LAG, ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei bereits deshalb nicht gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 iVm. § 9 Abs. 1 AÜG zustande gekommen, weil diese Normen aufgrund der Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG (sog. Konzernprivileg) keine Anwendung fänden, hielt einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

Das Rechtsfolgensystem der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 AÜG ist nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG auf die Überlassung zwischen Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden ist (sog. Konzernprivileg). Entgegen der Auffassung des LAG findet das Konzernprivileg auch dann keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer zwar nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt, wohl aber zum Zweck der Überlassung beschäftigt wird. Das ergibt sich aus einer insbesondere dem Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechenden Auslegung der Vorschrift, der das Wortverständnis nicht entgegensteht.

Zwar spricht der Wortlaut der Bestimmung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ("eingestellt und beschäftigt") auf den ersten Blick dafür, dass das Konzernprivileg nur dann nicht zur Anwendung gelangt, wenn sowohl die Einstellung als auch die Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erfolgt. Entgegen den Ausführungen des LAG zwingt die Verwendung der Konjunktion "und" jedoch nicht zu der Annahme, dass das Konzernprivileg nur dann ausgeschlossen ist, wenn beide Merkmale kumulativ vorliegen. Die Konjunktion "und" kann auch eine Aufzählung oder Aneinanderreihung ausdrücken. Sie bedingt nicht immer und zwingend ein kumulatives Verständnis (vgl. BAG 29.6.2011 - 7 AZR 774/09).

Das Konzernprivileg ist danach bereits ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt "oder" beschäftigt wird. Die zwingenden Vorgaben des AÜG können nicht dadurch umgangen werden, dass der Arbeitsvertrag nach der Einstellung geändert und der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung als Leiharbeitnehmer beschäftigt wird. Im weiteren Verfahren wird das LAG somit zunächst prüfen müssen, ob der Kläger bei der Beklagten als Erfüllungsgehilfe der S GmbH im Rahmen eines Werkvertrags eingesetzt oder dieser als Leiharbeitnehmer überlassen worden war.

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