27.03.2015

Auch arbeitslose Einwanderer können im Einzelfall einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben

EU-Ausländer, die sich zum Zweck der Arbeitssuche nach Deutschland begeben, können zwar grds. vom Bezug bestimmter Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II (ALG II) ausgeschlossen werden. Das gilt aber nicht generell. Wenn der EU-Ausländer in Deutschland bereits eine Beschäftigung ausgeübt hat, dürfen ihm derartige Leistungen nicht automatisch ohne individuelle Prüfung verweigert werden.

EuGH-Generalanwalt 26.3.2015, C-67/14
Der Sachverhalt:
Kläger des Ausgangsverfahrens sind eine aus Bosnien stammende Frau und ihre drei Kinder. Diese sind in Deutschland geboren. Nachdem die Familie mehrere Jahren in Schweden gelebt und die schwedische Staatsbürgerschaft bekommen hatte, reiste sie 2010 wieder nach Deutschland ein. Im kommenden Jahr waren die Mutter und ihre älteste, bereits volljährige Tochter in mehreren kürzeren Beschäftigungen bzw. Arbeitsgelegenheiten tätig. Seit Mai 2011 gehen sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nach.

In der Folgezeit erhielten die Mutter und ihre älteste Tochter sechs Monate lang ALG II und die beiden minderjährigen Kinder Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Anschließend stellte das zuständige Jobcenter Berlin-Neukölln die Zahlung der Leistungen ein, weil es der Ansicht war, dass die Mutter und ihre älteste Tochter als ausländische Arbeitsuchende und infolgedessen auch die jüngeren Kinder vom Bezug der betreffenden Leistungen ausgeschlossen seien.

Das mit der hiergegen gerichtete Klage befasste Bundessozialgericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die deutsche Regelung, wonach Ausländer (und ihre Familienangehörigen), deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, diese Leistungen nicht beanspruchen können, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der EuGH-Generalanwalt hat vorgeschlagen, die Regelung einschränkend auszulegen.

Die Gründe:
Nach der "Unionsbürgerrichtlinie" müssen die Mitgliedstaaten zwar während der ersten drei Monate des Aufenthalts sowie ggf. auch darüber hinaus Unionsbürgern, die zum Zweck der Arbeitssuche eingereist sind, keine Sozialhilfeleistungen gewähren. Diese Ausnahme ist aber eng auszulegen. Insoweit sind drei Fallgestaltungen zu unterscheiden:

  • Wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt und sich dort aufhält, ohne eine Arbeit suchen zu wollen, darf er von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen werden, um das finanzielle Gleichgewicht der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu erhalten.
  • Begibt sich ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, um dort Arbeit zu suchen, ist ein solcher Ausschluss aus den gleichen Gründen ebenfalls berechtigt.
  • Hält sich ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats allerdings mehr als drei Monate im Gebiet eines Mitgliedstaats auf und hat er dort gearbeitet, dürfen ihm die in Rede stehenden Leistungen nicht automatisch verweigert werden. Er muss vielmehr die Möglichkeit bekommen, das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat nachzuweisen.

Für diesen Nachweis kommt es zum einen auf die familiären Umstände an (wie z.B. die Schulausbildung der Kinder) und zum anderen auf eine effektive und tatsächliche Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraums. Eine frühere Erwerbstätigkeit oder auch die Tatsache, dass der Betreffende nach Stellung des Antrags auf Sozialleistungen eine neue Arbeit gefunden hat, ist zu diesem Zweck ebenfalls zu berücksichtigen.

Der Hintergrund:
Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend. In den meisten Fällen folgt der EuGH allerdings dem Vorschlag des Generalanwalts.

Linkhinweis:
Der Volltext des Vorschlags des Generalanwalts ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 35/15 vom 26.3.2015
Zurück