Auskunftsverweigerung gegenüber einem erfolglosen Bewerber kann für eine Diskriminierung sprechen
EuGH-Generalanwalt 12.1.2012, C-415/10Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist in Russland geboren und lebt inzwischen in Deutschland. Sie verfügt über ein Diplom als Systemtechnik-Ingenieurin, das mit einem in Deutschland von einer Fachhochschule erteilten Diplom gleichwertig ist.
Der Beklagte hatte 2006 eine Stelle für "eine[m/r] erfahrene[n] Softwareentwickler/-in" ausgeschrieben, auf die sich die Klägerin ohne Erfolg beworben hatte. Kurze Zeit danach veröffentlichte der Beklagte erneut eine Stellenanzeige mit gleichem Inhalt. Die Klägerin bewarb sich daraufhin von neuem um die Stelle, erhielt jedoch wiederum eine Absage, ohne dass der Beklagte sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen oder die Ablehnung erläutert hätte.
Die Klägerin war der Auffassung, sie sei wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihres Alters benachteiligt worden, und erhob Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG. Dabei verlangte sie vom Beklagten auch, die Bewerbungsunterlagen des aufgrund der Stellenanzeige eingestellten Bewerbers vorzulegen, um den Sachverhalt aufzuklären. Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab, da die Klägerin keine ausreichenden Indizien i.S.v. § 22 AGG bewiesen habe, die eine Benachteiligung vermuten ließen.
Auf die Revision der Klägerin setzte das BAG das Verfahren aus und legte dem EuGH die Fragen zur Vorabentscheidung vor,
- ob Arbeitnehmer, die darlegen, die Voraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle zu erfüllen, bei Nichtberücksichtigung einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber haben, ob ein anderer Bewerber eingestellt worden ist und falls ja, aufgrund welcher Kriterien,
- und falls die erste Frage bejaht wird, ob die Nichterteilung der Auskunft die vom Arbeitnehmer behauptete Diskriminierung vermuten lässt.
Der EuGH Generalanwalt hat vorgeschlagen, die erste Vorlagefrage zu verneinen und die zweite Frage in bestimmten Konstellationen zu bejahen.
Die Gründe:
Arbeitnehmer, die sich erfolglos um eine Stelle bewerben und als Grund eine unzulässige Diskriminierung vermuten, haben weder aus Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG noch aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG oder aus Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Auskunft darüber, ob und aufgrund welcher Kriterien er einen anderen Bewerber eingestellt hat. Das gilt selbst dann, wenn der betreffende Bewerber darlegt, dass er die Voraussetzungen für die vom Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle erfüllt.
Eine Auskunftsverweigerung des Arbeitgebers kann allerdings eine Diskriminierung vermuten lassen und dementsprechend zu einer Beweislastumkehr führen. Die Gerichte haben insoweit aber nicht nur allein das Fehlen einer Antwort des Arbeitgebers zu berücksichtigen, sondern dieses vielmehr in seinen weiteren tatsächlichen Zusammenhang zu stellen. Insoweit können die Gerichte etwa folgende Gesichtspunkte heranziehen:
- die offensichtliche Entsprechung von Bewerberqualifikation und Arbeitsstelle,
- die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch und
- das eventuelle erneute Unterbleiben einer Einladung desselben Bewerbers seitens des Arbeitgebers zu einem Vorstellungsgespräch, wenn der Arbeitgeber eine zweite Bewerberauswahl für dieselbe Stelle durchgeführt hat.
Hinweis:
Der Vorschlag des Generalanwalts ist für den EuGH nicht bindend. In den meisten Fällen folgt der EuGH allerdings diesem Vorschlag.
Linkhinweis:
Der Volltext des Vorschlags des Generalanwalts ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.