21.11.2012

BAG billigt "Zweiten Weg": Kirchen können per Tarifvertrag Streiks ausschließen

Kirchen steht es aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts frei, die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten nur dann durch Tarifverträge zu regeln, wenn die Gewerkschaft zuvor einer absoluten Friedenspflicht und einem Schlichtungsabkommen zustimmt ("Zweiter Weg"). In diesem Fall sind Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen unzulässig.

BAG 20.11.2012, 1 AZR 611/11
+++ Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein von der vormaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK) gegründeter Arbeitgeberverband. Im Bereich der NEK gelten seit 1961 Tarifverträge für die in den kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer. Diese werden vom klagenden Arbeitgeberverband mit Gewerkschaften abgeschlossen. Die Aufnahme von Tarifverhandlungen macht der Kläger allerdings vom Abschluss eines Grundlagentarifvertrags abhängig, nach dem Streiks unzulässig sind und im Konfliktfall eine Schlichtungsstelle unter dem Vorsitz eines unparteiischen Schlichters entscheidet ("Zweiter Weg").

Beklagter des vorliegenden Verfahrens ist der Bundesverband des Marburger Bundes. Dieser hatte den Kläger zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags für die bei den diakonischen Anstellungsträgern der NEK beschäftigten Ärzte aufgefordert. Der Kläger lehnte dies ab, weil der Beklagte nicht auf die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen verzichten wollte. Daraufhin führte ein Landesverband des Beklagten in einem diakonischen Krankenhaus einen Streik durch, den ihm ein Arbeitsgericht Hamburg vorab im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens rechtskräftig erlaubt hatte.

Mit seiner Klage verlangte der Kläger von dem Beklagten, Streikmaßnahmen in Einrichtungen seiner Mitglieder zu unterlassen. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

+++ Die Gründe:
Dem Kläger steht lediglich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles kein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu. Grundsätzlich kann er Gewerkschaften aber die Durchführung von Streikmaßnahmen untersagen. Denn die Entscheidung der NEK, auf der Grundlage eines am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Tarifvertragsverfahrens die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten zu regeln, fällt in den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, Art. 4 GG. Dieses bekenntnisgemäß modifizierte Tarifvertragsverfahren schließt den Arbeitskampf aus.

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen kollidiert insoweit zwar mit dem Recht einer Gewerkschaft aus Art. 9 Abs. 3 GG, sich durch den Abschluss von Tarifverträgen koalitionsmäßig zu betätigen und hierfür Arbeitskampfmaßnahmen einzusetzen. Bei einer hiernach vorzunehmenden Güterabwägung ist aber zu berücksichtigen, dass sich eine Gewerkschaft auf dem "Zweiten Weg" koalitionsmäßig betätigen kann und lediglich das Streikrecht entfällt. Ihr bleibt daher ein erhebliches Maß an Einflussnahme zugunsten ihrer Mitglieder, was auch ihrer Mitgliederwerbung zugutekommt.

Danach hat ihr Streikrecht gegenüber dem im "Zweiten Weg" zum Ausdruck kommenden kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zurückzutreten.

Die Klage war dennoch abzuweisen, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass aufgrund vergangener Arbeitskampfmaßnahmen der Beklagten die ernstliche Besorgnis weiterer Störungen besteht. Das Arbeitsgericht Hamburg hatte seinen Antrag auf Untersagung des Streiks rechtskräftig abgewiesen. Damit stand fest, dass der Landesverband des Marburger Bundes diesen Arbeitskampf durchführen durfte, woran der Senat gebunden ist. Da weitere Streiks nach diesem Zeitpunkt gegenüber Mitgliedern des Klägers nicht mehr stattgefunden haben, fehlte es an der für ein Unterlassungsbegehren erforderlichen Verletzungshandlung.

+++ Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.

BAG PM Nr. 82 vom 21.11.2012
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