Benachteiligung wegen Schwerbehinderung trotz verspäteter Bewerbung?
LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 5.12.2023 - 5 Sa 3/23
Der Sachverhalt:
Der im November 1987 geborene Kläger hatte nach seinem Abitur den Grundwehrdienst absolviert und ist dann zur Bundespolizei gegangen, wo er 2011 die Laufbahnprüfung des gehobenen Polizeivollzugsdienstes mit der Note "befriedigend" bestanden hat. Zudem erwarb er den akademischen Grad "Diplom-Verwaltungswirt (FH)". Anschließend war er bis Mai 2012 als Polizeikommissar am Flughafen tätig. Danach machte er noch seinen Master of Public Administration und war fortan in verschiedenen Behörden als Sachbearbeiter bzw. Leiter tätig. Ab Februar 2018 arbeitete er in wechselnden Aufgabenbereichen bei einem privaten Sicherheitsunternehmen.
Das beklagte Amt, das rund 30 Mitarbeiter/innen beschäftigt, hatte am 7.4.2020 über das Portal "Interamt.de" den zum 1.9.2020 zu besetzenden Dienstposten "Amtsleitung für Zentrale Dienste und Finanzen (m/w/d)" mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 11 TVöD-VKA ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist lief bis Freitag, 8.5.2020. Auf diese Stelle bewarb sich der Kläger, bei dem zu diesem Zeitpunkt eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 50 festgestellt war, mit dem per E-Mail übersandten Schreiben vom 11.5.2020, das 56 Seiten umfasste. Der Leitende Verwaltungsbeamte druckte die E-Mail aus und vermerkte darauf handschriftlich "verfristet!". Er wies die Personalleiterin an, dem Kläger eine Absage zu erteilen. Eine Schwerbehindertenvertretung existiert bei dem Beklagten nicht.
Mit E-Mail vom 22.11.2020 erkundigte sich der Kläger nach dem Stand des Bewerbungsverfahrens. Der Beklagte antwortete darauf am 26.11.2020 und verwies auf die schriftliche Absage vom 15.5.2020. Am 24.1.2021 forderte der Kläger von dem Beklagten eine Entschädigung i.H.v. 11.568 €. Er war der Ansicht, dass der Beklagte ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb vor dem LAG erfolglos.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG auf Zahlung einer Entschädigung, da er nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde.
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet zwar regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Das gilt auch für einen Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch. Die Widerlegung der aus einem Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX folgenden Vermutung setzt den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers bzw. der Bewerberin berühren.
Das Arbeitsgericht hatte die Ursache des Ausschlusses aus dem weiteren Bewerbungsverfahren allein in der Verfristung der Bewerbung gesehen. Eine Verletzung des allgemeinen Bewerbungsverfahrensanspruchs führt zwar auch zu einer Benachteiligung des Bewerbers. Eine solche Benachteiligung weist jedoch nicht zwangsläufig einen Zusammenhang mit einer Schwerbehinderung auf. Ebenso wenig löst sie einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aus, sondern gewährt ggf. die Möglichkeit, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine endgültige Besetzung der Stelle zeitweise zu verhindern. Zudem können sich daraus Schadensersatzansprüche ergeben. Die beim Beklagten "gelebte Praxis" mag rechtswidrig sein. Sie trifft jedoch alle Bewerber/innen gleichermaßen, und zwar unabhängig von einer Schwerbehinderung, dem Geschlecht, der ethnischen Herkunft, der Religion etc.
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Kurzbeitrag:
EuGH-Vorlage: Altersdiskriminierung bei Stellenanzeige für junge Behinderten-Assistenz?
ArbRB 2022, 65
Rechtsprechung (EuGH-Vorlage des BAG):
Diskriminierung wegen des Alters Rechtfertigung
BAG vom 24.02.2022 - 8 AZR 208/21 (A)
Aktionsmodul Arbeitsrecht:
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Landesrecht M-V
Der im November 1987 geborene Kläger hatte nach seinem Abitur den Grundwehrdienst absolviert und ist dann zur Bundespolizei gegangen, wo er 2011 die Laufbahnprüfung des gehobenen Polizeivollzugsdienstes mit der Note "befriedigend" bestanden hat. Zudem erwarb er den akademischen Grad "Diplom-Verwaltungswirt (FH)". Anschließend war er bis Mai 2012 als Polizeikommissar am Flughafen tätig. Danach machte er noch seinen Master of Public Administration und war fortan in verschiedenen Behörden als Sachbearbeiter bzw. Leiter tätig. Ab Februar 2018 arbeitete er in wechselnden Aufgabenbereichen bei einem privaten Sicherheitsunternehmen.
Das beklagte Amt, das rund 30 Mitarbeiter/innen beschäftigt, hatte am 7.4.2020 über das Portal "Interamt.de" den zum 1.9.2020 zu besetzenden Dienstposten "Amtsleitung für Zentrale Dienste und Finanzen (m/w/d)" mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 11 TVöD-VKA ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist lief bis Freitag, 8.5.2020. Auf diese Stelle bewarb sich der Kläger, bei dem zu diesem Zeitpunkt eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 50 festgestellt war, mit dem per E-Mail übersandten Schreiben vom 11.5.2020, das 56 Seiten umfasste. Der Leitende Verwaltungsbeamte druckte die E-Mail aus und vermerkte darauf handschriftlich "verfristet!". Er wies die Personalleiterin an, dem Kläger eine Absage zu erteilen. Eine Schwerbehindertenvertretung existiert bei dem Beklagten nicht.
Mit E-Mail vom 22.11.2020 erkundigte sich der Kläger nach dem Stand des Bewerbungsverfahrens. Der Beklagte antwortete darauf am 26.11.2020 und verwies auf die schriftliche Absage vom 15.5.2020. Am 24.1.2021 forderte der Kläger von dem Beklagten eine Entschädigung i.H.v. 11.568 €. Er war der Ansicht, dass der Beklagte ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb vor dem LAG erfolglos.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG auf Zahlung einer Entschädigung, da er nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde.
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet zwar regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Das gilt auch für einen Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch. Die Widerlegung der aus einem Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX folgenden Vermutung setzt den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers bzw. der Bewerberin berühren.
Das Arbeitsgericht hatte die Ursache des Ausschlusses aus dem weiteren Bewerbungsverfahren allein in der Verfristung der Bewerbung gesehen. Eine Verletzung des allgemeinen Bewerbungsverfahrensanspruchs führt zwar auch zu einer Benachteiligung des Bewerbers. Eine solche Benachteiligung weist jedoch nicht zwangsläufig einen Zusammenhang mit einer Schwerbehinderung auf. Ebenso wenig löst sie einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aus, sondern gewährt ggf. die Möglichkeit, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine endgültige Besetzung der Stelle zeitweise zu verhindern. Zudem können sich daraus Schadensersatzansprüche ergeben. Die beim Beklagten "gelebte Praxis" mag rechtswidrig sein. Sie trifft jedoch alle Bewerber/innen gleichermaßen, und zwar unabhängig von einer Schwerbehinderung, dem Geschlecht, der ethnischen Herkunft, der Religion etc.
Kurzbeitrag:
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ArbRB 2022, 65
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