09.12.2024

Betriebsbedingte Kündigung gegenüber leitenden Physiotherapeuten nicht rechtswirksam

Grundsätzlich kommt als unternehmerische Organisationsentscheidung, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen kann, die Vergabe von bisher in dem Betrieb des Arbeitgebers durchgeführten Arbeiten an ein anderes Unternehmen und die daraus resultierende Schließung einer Abteilung in Betracht. Der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt muss vom Arbeitgeber so genau und umfassend beschrieben werden, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich ein Bild davon zu machen.

ArbG Gelsenkirchen v 22.10.2024 - 1 Ca 807/24
Der Sachverhalt:
Der Beklagte betreibt einen traditionsreichen Sportverein mit einer Fußballabteilung in Gelsenkirchen. Er hält eine Lizenzmannschaft, die zurzeit in der zweiten Fußball-Bundesliga spielt. Zu der Fußballabteilung gehört auch ein Nachwuchs-Leistungszentrum mit Scouting-Bereich. Der Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit außerhalb der Auszubildenden und hat einen Betriebsrat. Der heute 51-jährige Kläger ist seit 2015 als Physiotherapeut beim Beklagten beschäftigt, seit Juli 2014 in leitender Funktion in der Abteilung Lizenz. Laut Arbeitsvertrag ist der Beklagte berechtigt, dem Kläger ein anderes, seinen Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechendes Aufgaben- und Tätigkeitsgebiet ohne Einschränkung der Vergütung zu übertragen und/oder ihn an einen anderen Ort zu versetzen.

In der Saison 2023/2024 waren in der Lizenz-Mannschaft drei Physiotherapeuten beschäftigt. Allen dreien erklärte der Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Kündigung erfolge betriebsbedingt, da die Stelle Physiotherapeut für den Bereich Lizenz ab der kommenden Saison nicht mehr besetzt werde und entfalle. Eine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit - auch zu gegebenenfalls geänderten Vertragsbedingungen, werde nicht gesehen. Aus Sicht des Beklagten würden sozial vergleichbarere Mitarbeitende nicht beschäftigt, wonach nach Einschätzung des Beklagten eine Sozialauswahl nicht durchzuführen sei. Betriebsrat und den Personalausschuss wurden benachrichtigt.

Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung des Klägers. Beim Beklagten seien im Nachwuchs-Leistungszentrum vergleichbare Arbeitnehmer im Bereich Physiotherapie beschäftigt, die hinsichtlich Tätigkeit und Qualifikation mit dem Kläger vergleichbar seien, jedoch einen geringeren sozialen Schutz aufgewiesen. Der Beklagte wies das Weiterbeschäftigungsverlangen zurück und kündigte dem Kläger am 31.5.2024 zum 30.11.2024. Am 23.9.2024 suchte der Beklagte auf einem Internetportal einen motivierten und erfahrenen Physiotherapeuten für die Betreuung der Jugendmannschaft U15/U16. Bereits zum 15.6.2024 hatte der Beklagte einen Dienstleistungsvertrag mit der Orthopädie.D. abgeschlossen, sich aber ein umfangreiches Weisungsrecht vorbehalten.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des anhängigen Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als leitenden Physiotherapeuten in der Abteilung Lizenz weiter zu beschäftigen.

Die Gründe:
Die Kündigungserklärung vom 31.5.2024 gilt nicht nach §§ 13 Abs. 1,4 S. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Die Kündigung ist nicht durchdringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in dem Betrieb des Beklagten entgegenstehen, bedingt gewesen, § 1 Abs. 2 S. 1, S. 4 KSchG. Der Beklagte ist vielmehr seiner Darlegungslast bezüglich eines dringenden betrieblichen Erfordernisses nicht nachgekommen.

Grundsätzlich kommt als unternehmerische Organisationsentscheidung, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen kann, die Vergabe von bisher in dem Betrieb des Arbeitgebers durchgeführten Arbeiten an ein anderes Unternehmen und die daraus resultierende Schließung einer Abteilung in Betracht. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt, wenn der Bedarf an einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers in dem Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist und der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz in diesem Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, § 1 Abs. 2 S. 1, S. 2 KSchG.

Der Beklagte hat allerdings nicht dargelegt, dass durch den Dienstleistungsvertrag mit der Orthopädie.D die Aufgaben der zu schließenden physiotherapeutischen Abteilung für die Lizenzmannschaft zur selbstständigen Wahrnehmung ohne Eingliederung in den Betriebsablauf und ohne Unterwerfung unter die Weisungen des Beklagten übertragen worden sind. Vielmehr hatte sich der Beklagte ein umfangreiches Weisungsrecht gegenüber D. vorbehalten. Auch die angebliche organisatorische Umsetzung einer Leistungsverdichtung hatte der Beklagte nicht näher erläutert.

Die Kündigung ist auch wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung gem. § 102 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG unwirksam. Der Beklagte hatte den Betriebsrat nicht hinreichend und vollständig über die betriebsbedingten Kündigungsgründe informiert. Der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt muss vom Arbeitgeber so genau und umfassend beschrieben werden, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich ein Bild davon zu machen. Zwar hatte der Beklagte zu den betriebsbedingten Kündigungsgründen ausgeführt, dass die Stelle Physiotherapeuten für den Bereich Lizenz ab der kommenden Saison nicht mehr besetzt wird und entfällt. Ein Hinweis auf die Fremdvergabe der Tätigkeit ist jedoch unterblieben.

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