07.03.2016

Betriebsratsmitglieder dürfen vor Entwicklungen "wie vor 70 Jahren" warnen - Kein Grund zur fristlosen Kündigung

Vergleicht ein Arbeitnehmer die betrieblichen Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Terrorregime, so kann dies zwar regelmäßig eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Etwas anderes gilt aber, wenn ein Betriebsratsmitglied darauf hinweist, dass "wir die Überwachung in einem totalitären Regime vor 70 Jahren hinter uns gebracht haben", und warnt, dass so eine Entwicklung schnell "aus dem Ruder laufen kann". Eine solche Äußerung ist von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt und rechtfertigt keine Kündigung.

LAG Düsseldorf 4.3.2016, 10 Ta BV 102/15
Der Sachverhalt:
A. ist seit 1994 bei der Arbeitgeberin, die ein Senioren- und Pflegezentrum betreibt, als Altenpfleger beschäftigt. Er gehört seit 20 Jahren dem bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrat an und ist außerdem Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Klinikgruppe, der die Arbeitgeberin angehört. Im April 2015 beschwerte er sich in einer an den Einrichtungsleiter und an Aufsichtsratsmitglieder gerichteten E-Mail über die Unterbesetzung im Tages- und Nachtdienst. Weiter hieß es in der E-Mail wörtlich:

"(...) wie ich von mehreren Mitarbeitern erfahren habe, beabsichtigen Sie (...) eine Überwachungskontrolle (...) durchzuführen. Es soll damit festgestellt werden, wie viel Zeit der Mitarbeiter benötigt, bis er dem Klingelruf des Mitarbeiters nachkommt. Hier findet eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers statt, die einen dringlichen Handlungsbedarf des Betriebsrats vorsieht gemäß einer einstweiligen Verfügung. Die Überwachung in einem totalitären Regime haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht, auch wenn hier im Kleineren gehandelt wird, so ist dies der Anfang von dem was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann. (...)"

Als die Arbeitgeberin von dem Inhalt der E-Mail erfuhr, beantragte sie beim Betriebsrat die Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit A. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung. Hiermit hatte sie sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Betriebsrat hat die Zustimmung zur fristlosen Kündigung des A. zu Recht verweigert. Die Zustimmung ist daher nicht zu ersetzen.

Es liegt kein Grund für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit A. vor. Zwar stellt ein Vergleich der betrieblichen Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Terrorregime regelmäßig einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar. Eine solche Gleichsetzung enthielt die E-Mail aber nicht. A. hat hierin lediglich vor einer möglichen künftigen Entwicklung gewarnt und damit allenfalls an die Verhältnisse der Weimarer Republik angeknüpft. Es ging ihm darum, dass man Entwicklungen von Beginn an beobachten muss "bevor etwas aus dem Ruder läuft." Eine solche Äußerung ist von der Meinungsfreiheit geschützt.

Auch die Kritik des A. an der von ihm behaupteten und von der Arbeitgeberin bestrittenen Unterbesetzung im Tages- und Nachtdienst enthält zulässige Werturteile, die sich im Rahmen seiner Funktionen als Betriebsrats- und Aufsichtsratsmitglied halten. Diese Äußerungen rechtfertigen daher ebenfalls keine Kündigung.

LAG Düsseldorf PM vom 4.3.2016
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