Betriebsratswahl: Zugänglichmachung des Wahlausschreibens an nicht im Betrieb anwesende Mitarbeiter
Thüringer LAG v. 27.3.2024 - 4 TaBV 13/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Die Beteiligte zu 33) betrieb ein Einzelhandelsunternehmen mit bundesweit 17 Niederlassungen. Die Beteiligten zu 1) und 33) bildeten durch Zuordnungstarifvertrag vom 18.12.2009 bundesweit sieben Einzelhandels-Betriebsratsregionen. Die Betriebsratsregion Nr. 7 (Ost) umfasste vier Niederlassungsgebiete mit mindestens 870 Filialen mit insgesamt ca. 14.500 Mitarbeitern. Die im Zeitraum 16.-18.5.2022 in dieser Region durchgeführte Betriebsratswahl, aus welcher der Beteiligte zu 32) hervorging, ist Gegenstand dieses Verfahrens.
Mindestens ein Arbeitnehmer ist Mitglied der Beteiligten zu 1) und in der Betriebsratsregion beschäftigt. Die Beteiligten zu 2) bis 31) waren wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 33). Unter dem 29.3.2022 fertigte der Wahlvorstand das Wahlausschreiben und versandte es auf elektronischem Weg in die Filialen. Dort ließ er das Wahlausschreiben von ausgewählten angewiesenen Mitarbeitern ausdrucken und aufhängen. Zu diesem Zeitpunkt waren mindestens 292 Mitarbeiter (u.a. wegen Mutterschutz, Elternzeit, Erkrankung) dauerhaft, mithin voraussichtlich auch zum Zeitpunkt der Wahl, nicht in den Filialen der Betriebsratsregion Nr. 7 der Beteiligten zu 33) anwesend. Die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen endete ausweislich des Wahlausschreibens vom 29.3.2022 am 12.4.2022.
Der Wahlvorstand versandte das Wahlausschreiben an die dauerhaft abwesenden Mitarbeiter, die auch zum Wahlzeitpunkt nicht in der Betriebsratsregion und in den Filialen sein würden, erst zusammen mit den Unterlagen für die Briefwahl nach dem 19.4.2022. Die Betriebsratswahl fand vom 16.2-18.5.2022 statt. Nach der darauffolgenden Stimmenauszählung machte der Wahlvorstand das Wahlergebnis am 30.5.2022 bekannt. Die Beteiligten zu 1) bis 31) fochten die Wahl an und begehrten die Erklärung der Unwirksamkeit der Wahl.
Das ArbG gab dem Antrag statt und erklärte die angefochtene Betriebsratswahl für unwirksam. Die Versendung des Wahlausschreibens an die zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht präsenten Arbeitnehmer sei zu spät erfolgt. Die Beschwerde der Beteiligten zu 32) und 33) hatte vor dem LAG keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde zum BAG wurde zugelassen.
Die Gründe:
Der Wahlvorstand hat gegen seine Verpflichtung, das Wahlausschreiben rechtzeitig an die Personen zu übersenden, welche im Wahlzeitraum voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (§ 24 Abs. 2 Wahlordnung), verstoßen (§ 3 Abs. 4 Satz 4 Wahlordnung).
Nach der Vorschrift ist das Wahlausschreiben unmittelbar nach seinem Erlass dem Personenkreis gem. § 24 Abs. 2 Wahlordnung zugänglich zu machen. Unstreitig waren bei der hier infrage kommenden Wahl mindestens 292 wahlberechtigte Arbeitnehmer betroffen. § 3 Abs. 4 Satz 4 Wahlordnung beinhaltet die Pflicht zur unverzüglichen Versendung des Wahlausschreibens an die betreffenden Arbeitnehmer.
Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut und wird gestützt durch den Zweck der Regelung. Die Wahlberechtigten sollen schon vor der Zusendung der Wahlunterlagen, die erst erfolgt, wenn die Vorschlagslisten bekannt gemacht werden, die Möglichkeit haben, nicht nur Kenntnis von der Durchführung der Wahl zu erlangen, sondern sich auch in das Verfahren einzubringen. Die Beteiligung erfolgt über ein repräsentatives Modell, über ein Betriebsratsgremium, weshalb es zwingend erforderlich ist, dass die Wahl demokratischen Grundsätzen genügt. Wenn dieser Grundsatz gestärkt werden soll, dann macht es keinen Sinn, die Wahlausschreiben in einem Zeitpunkt zu versenden, in dem nur noch die Ausübung des aktiven Wahlrechts möglich ist. Hiergegen hat der Wahlvorstand in mindestens 292 Fällen verstoßen, indem er das Wahlausschreiben erst zusammen mit den Briefwahlunterlagen versendet hat in einem Zeitpunkt, als die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen und die Frist für Einsprüche gegen die Wählerliste bereits verstrichen war.
Es ist nicht mit der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Sicherheit feststellbar, dass der hier zur Überzeugung der Kammer vorliegende Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren keinen Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte. Soweit die Beteiligten zu 32) und 33) wiederholt geltend machen, bei einem lebensnahen Maßstab sei es unwahrscheinlich, dass der Fehler Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt haben könnte, verlassen sie den Gehalt von § 19 Abs. 1 BetrVG. Danach geht es nicht darum, nachzuweisen, dass bei einem lebensnahen Ansatz der Fehler wahrscheinlich Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte, sondern umgekehrt, bei Anwendung des lebensnahen Maßstabes muss ausgeschlossen werden können, dass ein Einfluss auf das Wahlergebnis stattgefunden haben könnte. Dies kann hier nicht festgestellt werden.
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Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Die Beteiligte zu 33) betrieb ein Einzelhandelsunternehmen mit bundesweit 17 Niederlassungen. Die Beteiligten zu 1) und 33) bildeten durch Zuordnungstarifvertrag vom 18.12.2009 bundesweit sieben Einzelhandels-Betriebsratsregionen. Die Betriebsratsregion Nr. 7 (Ost) umfasste vier Niederlassungsgebiete mit mindestens 870 Filialen mit insgesamt ca. 14.500 Mitarbeitern. Die im Zeitraum 16.-18.5.2022 in dieser Region durchgeführte Betriebsratswahl, aus welcher der Beteiligte zu 32) hervorging, ist Gegenstand dieses Verfahrens.
Mindestens ein Arbeitnehmer ist Mitglied der Beteiligten zu 1) und in der Betriebsratsregion beschäftigt. Die Beteiligten zu 2) bis 31) waren wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 33). Unter dem 29.3.2022 fertigte der Wahlvorstand das Wahlausschreiben und versandte es auf elektronischem Weg in die Filialen. Dort ließ er das Wahlausschreiben von ausgewählten angewiesenen Mitarbeitern ausdrucken und aufhängen. Zu diesem Zeitpunkt waren mindestens 292 Mitarbeiter (u.a. wegen Mutterschutz, Elternzeit, Erkrankung) dauerhaft, mithin voraussichtlich auch zum Zeitpunkt der Wahl, nicht in den Filialen der Betriebsratsregion Nr. 7 der Beteiligten zu 33) anwesend. Die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen endete ausweislich des Wahlausschreibens vom 29.3.2022 am 12.4.2022.
Der Wahlvorstand versandte das Wahlausschreiben an die dauerhaft abwesenden Mitarbeiter, die auch zum Wahlzeitpunkt nicht in der Betriebsratsregion und in den Filialen sein würden, erst zusammen mit den Unterlagen für die Briefwahl nach dem 19.4.2022. Die Betriebsratswahl fand vom 16.2-18.5.2022 statt. Nach der darauffolgenden Stimmenauszählung machte der Wahlvorstand das Wahlergebnis am 30.5.2022 bekannt. Die Beteiligten zu 1) bis 31) fochten die Wahl an und begehrten die Erklärung der Unwirksamkeit der Wahl.
Das ArbG gab dem Antrag statt und erklärte die angefochtene Betriebsratswahl für unwirksam. Die Versendung des Wahlausschreibens an die zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht präsenten Arbeitnehmer sei zu spät erfolgt. Die Beschwerde der Beteiligten zu 32) und 33) hatte vor dem LAG keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde zum BAG wurde zugelassen.
Die Gründe:
Der Wahlvorstand hat gegen seine Verpflichtung, das Wahlausschreiben rechtzeitig an die Personen zu übersenden, welche im Wahlzeitraum voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (§ 24 Abs. 2 Wahlordnung), verstoßen (§ 3 Abs. 4 Satz 4 Wahlordnung).
Nach der Vorschrift ist das Wahlausschreiben unmittelbar nach seinem Erlass dem Personenkreis gem. § 24 Abs. 2 Wahlordnung zugänglich zu machen. Unstreitig waren bei der hier infrage kommenden Wahl mindestens 292 wahlberechtigte Arbeitnehmer betroffen. § 3 Abs. 4 Satz 4 Wahlordnung beinhaltet die Pflicht zur unverzüglichen Versendung des Wahlausschreibens an die betreffenden Arbeitnehmer.
Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut und wird gestützt durch den Zweck der Regelung. Die Wahlberechtigten sollen schon vor der Zusendung der Wahlunterlagen, die erst erfolgt, wenn die Vorschlagslisten bekannt gemacht werden, die Möglichkeit haben, nicht nur Kenntnis von der Durchführung der Wahl zu erlangen, sondern sich auch in das Verfahren einzubringen. Die Beteiligung erfolgt über ein repräsentatives Modell, über ein Betriebsratsgremium, weshalb es zwingend erforderlich ist, dass die Wahl demokratischen Grundsätzen genügt. Wenn dieser Grundsatz gestärkt werden soll, dann macht es keinen Sinn, die Wahlausschreiben in einem Zeitpunkt zu versenden, in dem nur noch die Ausübung des aktiven Wahlrechts möglich ist. Hiergegen hat der Wahlvorstand in mindestens 292 Fällen verstoßen, indem er das Wahlausschreiben erst zusammen mit den Briefwahlunterlagen versendet hat in einem Zeitpunkt, als die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen und die Frist für Einsprüche gegen die Wählerliste bereits verstrichen war.
Es ist nicht mit der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Sicherheit feststellbar, dass der hier zur Überzeugung der Kammer vorliegende Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren keinen Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte. Soweit die Beteiligten zu 32) und 33) wiederholt geltend machen, bei einem lebensnahen Maßstab sei es unwahrscheinlich, dass der Fehler Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt haben könnte, verlassen sie den Gehalt von § 19 Abs. 1 BetrVG. Danach geht es nicht darum, nachzuweisen, dass bei einem lebensnahen Ansatz der Fehler wahrscheinlich Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte, sondern umgekehrt, bei Anwendung des lebensnahen Maßstabes muss ausgeschlossen werden können, dass ein Einfluss auf das Wahlergebnis stattgefunden haben könnte. Dies kann hier nicht festgestellt werden.
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