Bezug von ALG I in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn kann einer abschlagsfreien "Rente mit 63" entgegenstehen
SG Gießen 14.6.2016, S 17 R 391/15Der Kläger ist 1951 geboren. Er war als Vertriebsmitarbeiter beschäftigt, bis der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2012 aus betriebsbedingten Gründen kündigte. Der Kläger bezog ab dem 1.1.2013 ALG I und beantragte im Oktober 2014 die Zahlung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab Januar 2015.
Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den Antrag ab, weil nur 525 statt der erforderlichen 540 Monate für die Wartezeit von 45 Jahren vorlägen. Der ALG-I-Bezug des Klägers über 24 Monate könne nicht auf die Wartezeit angerechnet werden, weil er in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn erfolgt sei und die gesetzlich geregelten Ausnahmefälle nicht vorlägen.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass es verfassungswidrig sei, dass für Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber insolvent geworden sei oder den Betrieb vollständig aufgegeben habe, die letzten zwei Jahre des Bezugs von Arbeitslosengeld berücksichtigt würden, während diese Berücksichtigung für Arbeitnehmer, denen - wie ihm - betriebsbedingt gekündigt worden sei, entfalle.
Das SG wies die Klage ab.
Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 38, 236 b SGB VI auf den Bezug einer abschlagfreien vorgezogenen Altersrente.
Zeiten des Bezugs von ALG I in den letzten zwei Jahren vor regulärem Renteneintritt werden nur dann gem. § 51 Abs. 3a SGB VI auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet, wenn sie Folge einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers sind. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass in anderen Fällen einer - vom Arbeitnehmer unverschuldeten - betriebsbedingten Kündigung im Anschluss daran in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn bezogenes ALG I nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden kann.
Die pauschale Nichtberücksichtigung von Zeiten des ALG-I-Bezugs in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Dabei kann dahinstehen, ob die Privilegierung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis infolge einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers beendet wurde, gleichheitswidrig ist, da selbst ein solcher Verfassungsverstoß keinen Anspruch anderer auf eine Einbeziehung in ebendiese Privilegierung begründen könnte.
Der Hintergrund:
Mit dem Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz wurde die Altersrente für besonders langjährig Versicherte überarbeitet. Wer vor dem 1.1.1953 geboren ist und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung, Tätigkeit oder Berücksichtigungszeiten vorweisen kann, kann danach die Altersrente bereits mit 63 Jahren eine Altersrente ohne Abschläge in Anspruch nehmen.
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