Bonus System: Schadensersatz wegen verspätet erfolgter Zielvorgabe
LAG Nürnberg v. 26.4.2024, 8 Sa 292/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 1988 zuletzt als Assistenz im Bereich Sales auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages aus 2005 beschäftigt. Für ihre Tätigkeit erhielt sie zuletzt ein jährliches Fixgehalt i.H.v. 66.887 € brutto. Der Arbeitsvertrag beinhaltete zudem das H. Bonus System. Der Bonus wurde zusätzlich zum fixen Jahreseinkommen gezahlt und war auf 26% vom Jahresgrundgehalt begrenzt. Er wurde nach Abschluss des Geschäftsjahres berechnet und ausgezahlt. Die Unternehmensführung behielt es sich vor, das bestehende Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen. Die Zielvereinbarung für das neue Fiskaljahr sowie die Beurteilung der Zielerreichung für das abgelaufene Fiskaljahr waren bis zum 31.05. abzuschließen. Die jährliche Auszahlung des Bonus erfolgte mit dem Junigehalt."
Am 26.10.2021 veröffentlichte die Beklagte Unternehmensziele. Mit Schreiben vom 16.5.2022 wurde allen bonusberechtigten Mitarbeitern mitgeteilt, dass es für das Geschäftsjahr 2021 zu keiner Bonusauszahlung kommen würde. Mit Bekanntmachung vom 20.7.2022 teilte die Beklagte ihren bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen werde. Die Klägerin erhielt sodann eine anteilige Auszahlung i.H.v. 6.652 € brutto. Dieser Betrag entsprach 38,46% des gesamten Bonus bei 100%iger Zielerfüllung. Eine weitere Zahlung erfolgte trotz Aufforderung durch die Klägerin nicht.
Die Klägerin machte für das Geschäftsjahr 2021 gerichtlich einen Bonus i.H.v. 17.380 € brutto abzüglich geleisteter 6.652 € brutto geltend. Dies sei der Betrag, der sich bei Erreichen von 100% der Unternehmensziele ergeben würde. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt. Allerdings hat die Beklagte hiergegen Revision eingelegt. Das Verfahren ist beim BAG unter dem Az.: 10 AZR 125/24 anhängig.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 10.727 € brutto wegen schuldhafter Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch verspätet erfolgte Zielvorgabe.
Die Beklagte hat ihre arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft dadurch verletzt, dass sie die laut arbeitsvertraglicher Regelung zum Bonussystem erforderliche Vorgabe der Unternehmensziele der Klägerin erst so spät mitgeteilt hatte, dass die einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich wurde. Erfolgt eine Zielvorgabe entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht oder zu einem so späten Zeitpunkt, dass ihr keinerlei sinnvolle Anreizfunktion mehr zukommen kann, kann der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig machen (wie LAG Köln 6.2.2024 - 4 Sa 390/23). Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist. Die Veröffentlichung der Unternehmensziele erfolgte hier am 26.10.2021, also wenige Wochen vor Ende des Geschäfts- und Kalenderjahres, und damit zu spät.
Anders als vom Erstgericht angenommen handelt es sich hier nicht um eine Zielvereinbarung, sondern um eine Zielvorgabe. Das Berufungsgericht schließt sich insoweit umfassend den zutreffenden Entscheidungsgründen der 2. Kammer des LAG Nürnberg im Urteil vom 27.3.2024, Az.: 2 Sa 293/23, an. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich demnach grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen stehen Zielvorgaben nicht zur Disposition des Arbeitnehmers, sondern werden allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird.
Die Klägerin kann gem. § 280 Abs. 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden ist. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach §§ 249 ff. BGB. Es ist bei der Schadensberechnung wegen einer verspäteten Zielvorgabe grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. Umstände, die die Annahme, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, entkräften könnten, sind nicht (ausreichend) vorgetragen worden.
Die Beklagte konnte sich auch nicht auf einen Widerruf der Bonusregelung berufen. Denn der im Arbeitsvertrag vorgesehene Anpassungsvorbehalt, nach dem es sich die Unternehmensführung vorbehält, das Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen, war aus formellen Gründen unwirksam. Die Anpassungsklausel wurde dem Transparenzgebot nicht gerecht.
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Bayern.Recht
Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 1988 zuletzt als Assistenz im Bereich Sales auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages aus 2005 beschäftigt. Für ihre Tätigkeit erhielt sie zuletzt ein jährliches Fixgehalt i.H.v. 66.887 € brutto. Der Arbeitsvertrag beinhaltete zudem das H. Bonus System. Der Bonus wurde zusätzlich zum fixen Jahreseinkommen gezahlt und war auf 26% vom Jahresgrundgehalt begrenzt. Er wurde nach Abschluss des Geschäftsjahres berechnet und ausgezahlt. Die Unternehmensführung behielt es sich vor, das bestehende Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen. Die Zielvereinbarung für das neue Fiskaljahr sowie die Beurteilung der Zielerreichung für das abgelaufene Fiskaljahr waren bis zum 31.05. abzuschließen. Die jährliche Auszahlung des Bonus erfolgte mit dem Junigehalt."
Am 26.10.2021 veröffentlichte die Beklagte Unternehmensziele. Mit Schreiben vom 16.5.2022 wurde allen bonusberechtigten Mitarbeitern mitgeteilt, dass es für das Geschäftsjahr 2021 zu keiner Bonusauszahlung kommen würde. Mit Bekanntmachung vom 20.7.2022 teilte die Beklagte ihren bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen werde. Die Klägerin erhielt sodann eine anteilige Auszahlung i.H.v. 6.652 € brutto. Dieser Betrag entsprach 38,46% des gesamten Bonus bei 100%iger Zielerfüllung. Eine weitere Zahlung erfolgte trotz Aufforderung durch die Klägerin nicht.
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Die Klägerin kann gem. § 280 Abs. 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden ist. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach §§ 249 ff. BGB. Es ist bei der Schadensberechnung wegen einer verspäteten Zielvorgabe grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. Umstände, die die Annahme, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, entkräften könnten, sind nicht (ausreichend) vorgetragen worden.
Die Beklagte konnte sich auch nicht auf einen Widerruf der Bonusregelung berufen. Denn der im Arbeitsvertrag vorgesehene Anpassungsvorbehalt, nach dem es sich die Unternehmensführung vorbehält, das Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen, war aus formellen Gründen unwirksam. Die Anpassungsklausel wurde dem Transparenzgebot nicht gerecht.
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