BSG kippt die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für "Syndikusanwälte" - aber Vertrauensschutz für Altfälle
BSG 3.4.2014, B 5 RE 13/14 R u.a.Die Kläger der drei Ausgangsverfahren hatten jeweils bei der beklagten DRV Bund die Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt. Die Beklagte hatte die Anträge abgelehnt, weil die Kläger in ihren jeweiligen Beschäftigungen keine anwaltliche Tätigkeit ausübten.
Die mit den Klagen befassten Landessozialgerichte hatten unterschiedlich entschieden:
- Während das LSG Nordrhein-Westfalen die Ansicht vertrat, dass die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis mit einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber generell keine befreiungsfähige Rechtsanwaltstätigkeit sei,
- hielt das LSG Baden-Württemberg die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis für zulässig und grds. befreiungsfähig.
Der 11. Senat des LSG Baden-Württemberg hielt einen Befreiungsanspruch indes schon dann für gegeben, wenn die jeweilige Beschäftigung weder die Versagung oder Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung noch ihren Widerruf rechtfertige (§§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 1 und 2 Nr. 8 BRAO), wohingegen der 2. Senat meinte, die jeweils zu beurteilende Tätigkeit müsse kumulativ die Merkmale der Rechtsberatung, -entscheidung, -gestaltung und -vermittlung erfüllen (sog "Vier-Kriterien-Theorie").
Das BSG entschied, dass in allen drei Fällen kein Befreiungsanspruch besteht.
Die Gründe:
Den Klägern steht kein Befreiungsrecht zu. Dieses setzt gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI u.a. voraus, dass Beschäftigte wegen ihrer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit auch Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sowie einer berufsständischen Kammer sind.
Die Kläger sind zwar abhängig beschäftigt und damit in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert und gleichzeitig - aufgrund ihrer Anwaltszulassung - Pflichtmitglieder in der jeweiligen Rechtsanwaltskammer und im jeweiligen berufsständischen Versorgungswerk. Sie sind aber nicht "wegen" der Beschäftigung Pflichtmitglieder der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerks. Denn die Rentenversicherungspflicht und die Pflichtmitgliedschaft muss wegen ein und derselben Beschäftigung bestehen; gerade die jeweilige Beschäftigung muss also die Versicherungspflicht in beiden Sicherungssystemen auslösen.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Kläger sind "Syndikusanwälte", die als ständige Rechtsberater in einem festen Dienstverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehen. Als solche sind sie nach Maßgabe der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG und des BGH nicht als Rechtsanwälte tätig. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwälte sind sie nur in ihrer freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb ihres Dienstverhältnisses (sog Doppel- oder Zweiberufe-Theorie). Auf die von der Rechtspraxis entwickelte "Vier-Kriterien-Theorie" kommt es daher nicht an.
Der Hintergrund:
Wer als Syndikus bereits eine Befreiung erlangt hat, muss voraussichtlich keine negativen Konsequenzen befürchten. Das BSG führt hierzu aus, dass dieser Personenkreis ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Fortbestand der Befreiung hat, das über den Schutz durch die §§ 44 ff. SGB X hinausgehen dürfte. Denn die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung hätten die "Vier-Kriterien-Theorie" selbst mit befördert und angewandt. Schon weil damit Lebensentscheidungen über die persönliche Vorsorge nachhaltig mit beeinflusst worden seien, könne einer Änderung der Rechtsauffassung grds. und in aller Regel keine Bedeutung zukommen.