23.12.2016

Die EU-Mitgliedstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Massenentlassungen untersagen

Unter bestimmten Umständen können die EU-Mitgliedstaaten Regelungen schaffen, wonach der Staat im Interesse des Schutzes der Arbeitnehmer und der Beschäftigung Massenentlassungen untersagen kann. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein gerechtes Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Arbeitnehmer und der Beschäftigung einerseits und der Niederlassungsfreiheit und der unternehmerischen Freiheit der Arbeitgeber andererseits. Zudem dürfen die gesetzlichen Kriterien für die Beurteilung einer Massenentlassung nicht zu allgemein und ungenau gefasst sein.

EuGH 21.12.2016, C-201/15
Der Sachverhalt:
Ein griechisches Unternehmen wollte eine Fabrik in Griechenland schließen und in einem anderen Betrieb über 200 Stellen abbauen. Nach griechischem Recht kann u.a. der Arbeitsminister eine solche Massenentlassung nach Abwägung der folgenden drei Kriterien untersagen:
  • die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt,
  • die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens und
  • die Belange der nationalen Wirtschaft.

Im Streitfall erfolgte eine solche Untersagung. Mit seiner hiergegen gerichteten Klage rügte das Unternehmen u.a. eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Das mit der Sache befasste nationale Gericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine gesetzliche Regelung wie die hier in Streit stehende mit dem EU-Recht vereinbar ist. Sollte der EuGH dies verneinen, möchte es außerdem wissen, ob die Regelung dennoch gerechtfertigt ist, weil Griechenland aktuell unter einer schweren Wirtschaftskrise mit einer hohen Arbeitslosenquote leidet. Der EuGH verneinte beide Vorlagefragen.

Die Gründe:
Grundsätzlich kann eine nationale Regelung, die es erlaubt, Massenentlassungen zu untersagen, mit dem EU-Recht vereinbar sein. Hierin liegt kein Verstoß gegen die Massenentlassungsrichtlinie, wenn dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der von der nationalen Behörde angewandten Kriterien nicht tatsächlich jede Möglichkeit genommen wird, Massenentlassungen vorzunehmen.

Eine solche Regelung verstößt auch nicht zwingend gegen die Niederlassungsfreiheit. Sie kann durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Schutz der Arbeitnehmer oder die Förderung von Beschäftigung und Einstellungen gerechtfertigt sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie Massenentlassungen nicht schlechthin unmöglich macht, sondern nur einen Rechtsrahmen für diese Möglichkeit schafft, so dass ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den mit dem Schutz der Arbeitnehmer und der Beschäftigung verbundenen Interessen und den Interessen im Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit hergestellt wird.

Die griechische Regelung ist aber in ihrer konkreten Ausgestaltung mit dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar. Das erste Beurteilungskriterium (Belange der nationalen Wirtschaft) stellt keinen Grund von allgemeinem Interesse dar, der eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen könnte. Die anderen beiden Kriterien sind zudem zu allgemein und ungenau gefasst. Für die betroffenen Arbeitgeber ist hieraus nicht ersichtlich, unter welchen besonderen und objektiven Umständen die griechischen Behörden beabsichtigte Massenentlassungen untersagen können.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass Griechenland sich zurzeit in einer schweren Wirtschaftskrise befindet.

Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 143/16 vom 23.12.2016
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