Für den Sonderkündigungsschutz ab Ankündigung einer Pflegezeit gilt keine Höchstfrist
Thüringer LAG 2.10.2014, 6 Sa 345/13Der Kläger war bei der Beklagten seit Februar 2011 als Werksleiter beschäftigt. Im Juni 2012 entschied die Beklagte, sich vom Kläger zu trennen. Hierüber führten die Parteien Gespräche. Der Kläger bat zunächst um Zeit, um sich anwaltlich beraten lassen zu können. Die Vertreter der Beklagten stimmten dem zu, machten aber deutlich, dass angesichts der Kündigungsfrist eine Kündigung noch vor Ende Juni 2012 ausgesprochen werden solle, wenn es nicht zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags kommen würde.
Am 26.6.2012 beantragte der Kläger Pflegezeit zur Pflege seines Vaters für den Zeitraum vom 15. bis zum 22.12.2012. Mit dem Kläger am 28.6.2012 zugegangenen Schreiben kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2012.
Mit seiner gegen die Kündigung gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass sein Vater schon seit Jahren pflegebedürftig sei, und legte zum Nachweis eine Bestätigung der Krankenversicherung über das Vorliegen der Pflegestufe I vor. Normalerweise werde der Vater von seiner 83-jährigen Mutter gepflegt, die er aber zur Vorbereitung des Weihnachtsfestes entlasten wolle. Nachdem die Beklagte ihm signalisiert habe, dass sie seinen überobligatorischen Einsatz nicht ausreichend würdige, habe er sich entschieden, nicht weiter zugunsten des Unternehmens auf seine Rechte zu verzichten.
Die Klage hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG Erfolg. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig, da die Beklagte Revision eingelegt hat (BAG-Az.: 2 AZR 701/14).
+++ Die Gründe:
Die Kündigung der Beklagten verstößt gegen § 5 Abs. 1 PflegeZG und ist daher gem. § 134 BGB nichtig.
Nach § 5 Abs. 1 PflegeZG darf ein Arbeitgeber ein Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung der Pflegezeit nicht kündigen. Der Kündigungsschutz beginnt demnach mit dem Zugang der Ankündigung. Er ist nicht in zeitlicher Hinsicht auf eine maximal zulässige Vorankündigungsfrist beschränkt. Die Vorschrift lässt sich weder in dieser Hinsicht auslegen noch ergibt sich eine solche Beschränkung aus der analogen Anwendung ähnlicher Vorschriften wie z.B. § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber beim PflegeZG bewusst auf entsprechende Regelung verzichtet hat.
Der Sonderkündigungsschutz verstößt nicht gegen Grundrechte der Arbeitgeber.
Dem Kläger ist es auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf den besonderen Kündigungsschutz zu berufen. Darlegungs- und beweispflichtig für eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Sonderkündigungsschutzes ist der Arbeitgeber. Trägt er - wie hier - Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Sonderkündigungsschutzes vor, hat der Arbeitnehmer Zweifel an der Redlichkeit seiner Rechtsausübung durch konkreten Sachvortrag zu zerstreuen. Dies hat der Kläger getan, indem er seine Motivation plausibel erklärt hat, ohne dass die Beklagte diesen Vortrag widerlegen konnte.
+++ Mehr zum Thema:
Lesen Sie in ArbRB online, der Datenbank des Arbeits-Rechts-Beraters unter www.arbrb.de, einen Aufsatz zum Thema "Richtige Antragstellung bei Pflegezeit - Sonderkündigungsschutz on/off", ArbRB 2011, 320 (Böhm).
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