07.12.2012

Geringere Sozialplanabfindung für rentennahe Jahrgänge ist EU-rechtskonform - Aber kein Abschlag für Schwerbehinderte zulässig

Ein Sozialplan darf eine geminderte Entlassungsabfindung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. Es stellt aber eine nach dem Unionsrecht verbotene Diskriminierung dar, wenn bei der Berechnung dieser Minderung die Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente wegen einer Behinderung berücksichtigt wird.

EuGH 6.12.2012, C-152/11
+++ Der Sachverhalt:
Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Herr Odar, ist schwerbehindert und war seit mehr als 30 Jahren bei dem deutschen Unternehmen Baxter beschäftigt.

Bei Baxter existiert ein Sozialplan, der für den Fall betriebsbedingter Kündigungen Abfindungszahlungen vorsieht. Die Abfindung steigt danach grds. mit jedem Jahr der Betriebszugehörigkeit. Etwas anderes gilt jedoch für Arbeitnehmer, die älter als 54 Jahre sind. Hier wird die Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet, was zu Abschlägen ggü. der Berechnung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit führt. Die Abfindung muss allerdings mindestens die Hälfte dieser Summe betragen.

Wenn der Arbeitnehmer eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung erhalten kann, sieht der Sozialplan darüber hinaus vor, dass bei der Berechnung nach der alternativen Methode auf diesen Zeitpunkt abgestellt wird.

Dem Kläger wurde betriebsbedingt gekündigt und er erhielt eine Abfindung nach Maßgabe des Sozialplans. Mit seiner Klage verlangte er einen höheren Abfindungsbetrag. Die Sozialplan-Regelungen benachteiligten ihn wegen seines Alters und wegen seiner Behinderung. Das mit der Klage befasste Arbeitsgericht München legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Sozialplanregelungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Der EuGH entschied, dass dies nur teilweise der Fall ist.

+++ Die Gründe:
Die streitige Regelung verstößt nicht gegen das im Unionsrecht verankerte Verbot der Altersdiskriminierung. Ältere (rentennahe) Arbeitnehmer werden zwar im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen benachteiligt. Diese Ungleichbehandlung ist aber aus folgenden Gründen gerechtfertigt:

  • Sie dient dem legitimen Ziel, einen Ausgleich für die Zukunft zu gewähren, die jüngeren Arbeitnehmer zu schützen und deren berufliche Wiedereingliederung zu unterstützen.
  • Zugleich trägt sie der Notwendigkeit der gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel eines Sozialplans Rechnung.
  • Darüber hinaus ist es legitim, zu vermeiden, dass eine Entlassungsabfindung Personen zugutekommt, die keine neue Stelle suchen, sondern ein Ersatzeinkommen in Form einer Altersrente beziehen wollen.

Die Sozialplan-Regelungen verstoßen allerdings gegen das Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen, soweit bei der Abfindungsberechnung auf den möglichen Bezug einer Altersrente wegen der Behinderung abgestellt wird:

  • Die Regelung verkennt, dass Schwerbehinderte regelmäßig größere Schwierigkeiten als nichtbehinderte Arbeitnehmer haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Dieses Risiko steigt im Übrigen, je mehr sie sich dem Renteneintrittsalter nähern.
  • Bei Schwerbehinderten ist zudem dem Risiko Rechnung zu tragen, dass sie unabweisbaren finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung ausgesetzt sind und/oder dass sich diese finanziellen Aufwendungen mit zunehmendem Alter erhöhen.

Die in Rede stehende Regelung, die bei betriebsbedingter Kündigung dazu führt, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer eine geringere Abfindung erhält als ein nichtbehinderter Arbeitnehmer, bewirkt folglich eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer. Diese Regelung geht über das hinaus, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten sozialpolitischen Ziele erforderlich ist.

+++ Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 161 vom 6.12.2012
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