Haftungsausschluss bei Infektion mit dem Covid-19-Virus am Arbeitsplatz
Thüringer LAG v. 7.11.2023 - 1 Sa 91/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der Ehemann der 2021 verstorbenen Arbeitnehmerin. Diese war seit 1991 als Küchenhilfe in der Kantine der vom Beklagten betriebenen Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Sie erhielt monatlich ein Bruttoentgelt von zuletzt 1.788 €. In der Küche arbeitete sie mit zwei weiteren Küchenmitarbeiterinnen zusammen. Alle drei Mitarbeiterinnen erkrankten im Februar 2021 an Corona. Die Ehefrau des Klägers verstarb nach einer Pneumonie und schließlich an einem septischen Multiorganversagen.
Der Beklagte zeigte gegenüber der zuständigen Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege Anhaltspunkte für eine Berufskrankheit bei der Verstorbenen an. Mit seiner Klage hat der Kläger behauptet, der Beklagte habe die erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz seiner Ehefrau jedenfalls bedingt vorsätzlich nicht eingehalten. Aus diesem Grund sei es am Arbeitsplatz zu einer Infektion mit dem Covid-19-Virus gekommen. Der Beklagte habe auch in Bezug auf den Tod seiner Ehefrau bedingt vorsätzlich gehandelt, so dass das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII nicht greife.
Das Arbeitsgericht hat die auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Behauptung des Klägers, die Ansteckung seiner Ehefrau sei am Arbeitsplatz erfolgt, ist nicht erwiesen worden. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit und der Infektion der Verstorbenen konnte nicht belegt werden. Es fehlte an der haftungsbegründenden Kausalität, die für alle denkbaren Anspruchsgrundlagen - sowohl vertraglicher als auch deliktischer Natur - für eine Haftung des Beklagten als Arbeitgeber erforderlich war.
Auch im Rahmen eines auf § 280 Abs. 1 BGB gestützten Schadensersatzanspruchs ist der Kläger vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet für alle den Kausalzusammenhang begründenden Tatsachen ist. Die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB bezieht sich alleine auf das "Vertreten müssen", nicht jedoch auf die Kausalität. Auch eine Beweiserleichterung würde dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Denn für die Kammer war aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar, gegen welche Sicherungsmaßnahmen bzw. Hygienekonzepte der Beklagte verstoßen haben sollte.
Selbst eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt und ebenfalls unterstellt, diese hätte zu einer Infektion der Ehefrau des Klägers geführt, schiede eine Haftung des Beklagten aus. Denn für diesen Fall greift nach Auffassung der Kammer der Haftungsausschluss des § 104 Abs. 1 SGB VII. Aus dem Zweck des § 104 SGB VII folgt, dass für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ein "doppelter Vorsatz" erforderlich ist. Der Vorsatz des Schädigers muss daher nicht nur die Verletzungshandlung an sich, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Dabei indiziert allein der Verstoß gegen Schutzvorschriften keinen Vorsatz im Hinblick auf den Verletzungserfolg. Selbst derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will regelmäßig nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde.
Da es umgekehrt aber auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, dass derjenige, der vorsätzlich eine solche Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, kommt es bei der Prüfung auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Von einem "dem Zufall überlassen" konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht die Rede sein. Der Beklagte hatte vielmehr durch die diversen zur Akte gereichten Infektionsschutzkonzepte ausreichend belegt, dass er während der Corona-Pandemie auf das Wohlergehen seiner Mitarbeiter bedacht war.
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Aufsatz:
Krank oder Simulant? Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und seine Erschütterung
Ralf Steffan, ArbRB 2023, 243
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Der Kläger ist der Ehemann der 2021 verstorbenen Arbeitnehmerin. Diese war seit 1991 als Küchenhilfe in der Kantine der vom Beklagten betriebenen Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Sie erhielt monatlich ein Bruttoentgelt von zuletzt 1.788 €. In der Küche arbeitete sie mit zwei weiteren Küchenmitarbeiterinnen zusammen. Alle drei Mitarbeiterinnen erkrankten im Februar 2021 an Corona. Die Ehefrau des Klägers verstarb nach einer Pneumonie und schließlich an einem septischen Multiorganversagen.
Der Beklagte zeigte gegenüber der zuständigen Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege Anhaltspunkte für eine Berufskrankheit bei der Verstorbenen an. Mit seiner Klage hat der Kläger behauptet, der Beklagte habe die erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz seiner Ehefrau jedenfalls bedingt vorsätzlich nicht eingehalten. Aus diesem Grund sei es am Arbeitsplatz zu einer Infektion mit dem Covid-19-Virus gekommen. Der Beklagte habe auch in Bezug auf den Tod seiner Ehefrau bedingt vorsätzlich gehandelt, so dass das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII nicht greife.
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Auch im Rahmen eines auf § 280 Abs. 1 BGB gestützten Schadensersatzanspruchs ist der Kläger vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet für alle den Kausalzusammenhang begründenden Tatsachen ist. Die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB bezieht sich alleine auf das "Vertreten müssen", nicht jedoch auf die Kausalität. Auch eine Beweiserleichterung würde dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Denn für die Kammer war aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar, gegen welche Sicherungsmaßnahmen bzw. Hygienekonzepte der Beklagte verstoßen haben sollte.
Selbst eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt und ebenfalls unterstellt, diese hätte zu einer Infektion der Ehefrau des Klägers geführt, schiede eine Haftung des Beklagten aus. Denn für diesen Fall greift nach Auffassung der Kammer der Haftungsausschluss des § 104 Abs. 1 SGB VII. Aus dem Zweck des § 104 SGB VII folgt, dass für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ein "doppelter Vorsatz" erforderlich ist. Der Vorsatz des Schädigers muss daher nicht nur die Verletzungshandlung an sich, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Dabei indiziert allein der Verstoß gegen Schutzvorschriften keinen Vorsatz im Hinblick auf den Verletzungserfolg. Selbst derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will regelmäßig nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde.
Da es umgekehrt aber auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, dass derjenige, der vorsätzlich eine solche Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, kommt es bei der Prüfung auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Von einem "dem Zufall überlassen" konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht die Rede sein. Der Beklagte hatte vielmehr durch die diversen zur Akte gereichten Infektionsschutzkonzepte ausreichend belegt, dass er während der Corona-Pandemie auf das Wohlergehen seiner Mitarbeiter bedacht war.
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