"Hohe Wahrscheinlichkeit" für eine Drohung rechtfertigt nicht die fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
LAG Hamm 30.8.2016, 7 TaBV 45/16Die Arbeitgeberin betreibt ein Seniorenzentrum. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis mit einer bei ihr beschäftigten Betriebsrätin außerordentlich wegen des dringenden Verdachts einer gravierenden Pflichtwidrigkeit. Die Arbeitgeberin warf der Betriebsrätin vor, einer Wohnbereichsleiterin, die ihr Arbeitsverhältnis wenig später beendete, eine Trauerkarte mit dem handschriftlichen Zusatz "Für Dich (bist die nächste)" in das Dienstpostfach gelegt zu haben.
Die Betriebsrätin bestritt den Vorwurf. Daraufhin holte die Arbeitgeberin ein Schriftgutachten ein, wonach der handschriftliche Zusatz mit "hoher Wahrscheinlichkeit" (dritter von acht möglichen Übereinstimmungsgraden) von der Betriebsrätin stammte. Die höheren Übereinstimmungsgrade "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" und "sehr hohe Wahrscheinlichkeit" vermochte der Sachverständige hingegen nicht festzustellen.
Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung seines Mitglieds. Der hiergegen gerichtete Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die gem. § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Betriebsrätin ist nicht gem. § 103 Abs. 2 BetrVG gerichtlich zu ersetzen. Es ist nicht ersichtlich, dass die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist.
Eine Verdachtskündigung ist nach der Rechtsprechung des BAG nur unter engen Voraussetzungen möglich. Hierfür muss insbesondere aufgrund objektiver Tatsachen der dringende Verdacht einer gravierenden Pflichtwidrigkeit bestehen. Der Arbeitgeber hat insoweit alle ihm möglichen und zumutbaren Mittel der Sachverhaltsaufklärung auszuschöpfen und den betroffenen Arbeitnehmer zu den konkreten Verdachtsmomenten anzuhören. Des Weiteren muss aufgrund der Verdachtslage die zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauensbasis zerstört sein.
Im Streitfall ist nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad davon auszugehen, dass die Trauerkarte tatsächlich von der Betriebsrätin stammt. Damit fehlt es an einem dringenden Verdacht für die behauptete Pflichtverletzung.