Home-Office: Sturz auf Kellertreppe kann Arbeitsunfall darstellen
BSG 27.11.2018, B 2 U 28/17 RDie Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei einem Sturz auf der häuslichen Kellertreppe auf dem Weg zum "Home-office" einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Klägerin war Arbeitnehmerin einer GmbH, die geldwerte (Geschenk-)Gutscheine und Internetcodes vertrieb. Sie war schwerpunktmäßig u.a. für die Gewinnung, Betreuung und den Ausbau von Key Accounts (= Schlüsselkunden) zuständig. Die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden an fünf Tagen in der Woche beinhaltete eine Kernarbeitszeit von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Laut Arbeitsvertrag arbeitete sie von zuhause aus. Weitere Ausführungen zum Arbeitsplatz der Klägerin enthielt der Vertrag nicht, insbesondere zur Einrichtung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes im häuslichen Bereich.
Am Unfalltag hielt sich die Klägerin auf einem Messegelände auf, um Kunden für ein Projekt zu gewinnen. Eine Mitarbeiterin der Arbeitgeberin forderte sie gegen 14.45 Uhr telefonisch auf, um 16.30 Uhr den Geschäftsführer anzurufen. Die Klägerin fuhr daraufhin nach Hause und wollte dort in ihrem Büro im Kellergeschoss den mitgeführten Laptop anschließen, um über diesen zu telefonieren. Gegen ca 16.10 Uhr rutschte sie beim Hinabsteigen der Kellertreppe auf dem Weg zu ihrem Büro auf einer Stufe ab, stürzte und verletzte sich im Wirbelsäulenbereich. Dabei führte sie eine Tasche mit ihrem Laptop sowie sonstiges Arbeitsmaterial mit sich.
Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil auf Treppen zwischen privat und geschäftlich genutzten Räumen kein Versicherungsschutz für zurückgelegte Wege bestehe. Das SG hat die Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten habe, weil sie im Unfallzeitpunkt einen Betriebsweg mit betrieblicher Motivation zurückgelegt habe und die Treppe zumindest wesentlich auch betrieblich genutzt worden sei. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe bei der zum Unfall führenden Verrichtung nicht unter Versicherungsschutz gestanden.
Auf die Revision der Klägerin hat das BSG das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat einen "Unfall" i.S.d. § 8 Abs 1 S 1 SGB VII erlitten, als sie beim Hinabsteigen der häuslichen Kellertreppe auf dem Weg zu ihrem "Home-Office" auf einer Stufe stürzte und sich dabei Verletzungen im Wirbelsäulenbereich zuzog.
Ihre Verrichtung zurzeit des Unfallereignisses stand in einem sachlichen Zusammenhang zu ihrer versicherten Tätigkeit als Sales und Key Account Managerin. Sie legte zum Unfallzeitpunkt einen versicherten Betriebsweg i.S.d. § 8 Abs 1 S 1 i.V.m. § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII zurück, denn sie stieg nach die Treppe mit der Handlungstendenz hinab, in ihrem Büro ("Home-Office"), das sich im Kellergeschoss befand, den mitgeführten Laptop anzuschließen und über diesen um 16.30 Uhr auf eine vorherige dienstliche Weisung hin mit dem Geschäftsführer der Unternehmerin zu telefonieren.
Der Versicherungsschutz scheitert nicht daran, dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin ereignete. Die an der Außentür des Wohnhauses orientierte Grenzziehung für Betriebswege greift gerade nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden und wenn der Betriebsweg in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Hier war nach dem Arbeitsvertrag vereinbarter Arbeitsort die Wohnung der Klägerin. Maßgebend für die Bejahung des Unfallversicherungsschutzes ist dann nicht die objektive Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts innerhalb des Hauses, sondern die durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigte Handlungstendenz der Klägerin, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen.
Die Klägerin befand sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Kellertreppe ihrer Privatwohnung auf dem Weg in ihr "Home-Office". Ihre objektivierte Handlungstendenz war darauf gerichtet, ihrer Tätigkeit als Beschäftigte i.S.d. § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nachzukommen. Das Telefonat mit dem Geschäftsführer gehörte zu den Aufgaben, die im Interesse des Unternehmens standen. Nach wie vor sind stets die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, weil im häuslichen Bereich die Beweisführung hinsichtlich der Handlungstendenz und die entsprechende Überprüfung klägerseitiger Angaben besonders schwierig sein können. Anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen über Zeit, Ort u.s.w. des Unfallgeschehens konnte der Senat hier selbst abschließend darüber befinden, dass keine Umstände ersichtlich sind, die Zweifel an der Handlungstendenz der Klägerin begründen könnten.
Linkhinweis:
- Terminvorschau und Terminbericht sind auf den Webseiten des BSG veröffentlicht.
- Für den Terminbericht des BSG klicken Sie bitte hier.