13.08.2024

Keine Nachgewährung von Urlaub wegen Quarantäne in der Corona-Pandemie

Bewilligt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer antragsgemäß Urlaub und zahlt an ihn Urlaubsentgelt, erfüllt er den Urlaubsanspruch ungeachtet des Umstands, dass die zuständige Behörde anschließend für denselben Zeitraum die Absonderung des selbst nicht erkrankten Arbeitnehmers in häusliche Quarantäne anordnet, weil er mit einer Person Kontakt gehabt hat, die mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert gewesen ist. Dies hat das BAG für einen Fall aus Oktober 2020 entschieden. Die neue Bestimmung des § 59 Abs. 1 IfSG, wonach die Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden, gilt erst ab September 2022 und fand daher auf den streitgegenständlichen Zeitraum keine Anwendung.

BAG, 28.5.2024 - 9 AZR 76/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Urlaub aus dem Jahr 2020 nachzugewähren, und in diesem Zusammenhang darüber, ob die Anordnung häuslicher Quarantäne für Zeiträume, für die bereits Urlaub bewilligt war, der Erfüllung dieser Urlaubsansprüche entgegensteht.

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Am 14.10.2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21.10.2020 mit der Begründung an, er habe Kontakt zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person gehabt. In diesem Zeitraum durfte der Kläger seine Wohnung nicht verlassen und musste den Empfang von Besuchen sowie den Kontakt zu Mitbewohnern und Angehörigen auf das Notwendigste beschränken. Während der verhängten Quarantäne war der Kläger selbst nicht arbeitsunfähig erkrankt.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, ihm stünden aus dem Jahr 2020 noch acht Arbeitstage Urlaub zu. Er hat die Auffassung vertreten, infolge der nachträglichen Quarantäneanordnung sei hinsichtlich des bereits bewilligten Urlaubs keine Erfüllung eingetreten. Es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Die Beklagte müsse ihm den Urlaub deshalb entsprechend § 9 BUrlG, dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren.

Das ArbG wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hat das LAG das Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Die Gründe:
Der streitgegenständliche Urlaubsanspruch ist mit der bezahlten Freistellung des Klägers von der Arbeitspflicht in der Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020 erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Zeiten häuslicher Quarantäne fallen weder unter das gesetzliche Anrechnungsverbot des § 9 BUrlG noch rechtfertigen sie eine entsprechende Anwendung dieser gesetzlichen Ausnahmevorschrift. Deshalb verbleibt es bei dem Grundsatz, dass nach Festlegung des Urlaubszeitraums eintretende urlaubsstörende Ereignisse als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des Arbeitnehmers fallen.

Der Arbeitgeber schuldet bezahlte Freistellung zum Zwecke der Erholung und Entspannung, jedoch keinen bestimmten "Urlaubserfolg". Treten anschließend zusätzlich Umstände eines anderen Freistellungstatbestands ein, kann die mit der Erfüllungshandlung suspendierte Leistungspflicht durch spätere Ereignisse nicht nochmals entfallen. Aufgrund der Urlaubsbewilligung bestand bereits keine Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung mehr (BAG v. 16.8.2022 - 9 AZR 76/22 (A)).

Nach Urlaubsbewilligung eintretende und vom Arbeitgeber nicht unmittelbar zu beeinflussende Umstände sind regelmäßig dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen und fallen grundsätzlich in seine Risikosphäre.

Dem Arbeitnehmer ist wegen nachträglichen Eintritts urlaubsstörender Umstände der beeinträchtigte Urlaub nur nachzugewähren, soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien das Urlaubsrisiko dem Arbeitgeber auferlegt haben. Im streitgegenständlichen Zeitraum enthielt das Recht keine (Ausnahme-)Bestimmung, nach der vom Arbeitgeber gewährter Urlaub bei nachfolgend angeordneter häuslicher Quarantäne nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen ist. Dies gilt insbesondere für die Regelung in § 9 BUrlG, die für den Streitfall weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung maßgebend ist.

Die Voraussetzungen des § 9 BUrlG sind nicht erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer während einer angeordneten Quarantäne nicht arbeitsunfähig krank ist. Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt in diesem Fall nicht in Betracht. Das LAG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die gesetzliche Regelung weise eine Regelungslücke auf, die aufgrund der vergleichbaren Interessenlage einen Analogieschluss rechtfertige.

Die von dem Arbeitnehmer ausgehende Ansteckungsgefahr, die den Grund für die Quarantäneanordnung bildet, ist mangels eines regelwidrigen Körperzustands keine Krankheit iSd. § 9 BUrlG. Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG scheidet aus, da weder eine planwidrige Regelungslücke vorliegt noch die Regelungsgegenstände hinreichend vergleichbar sind.

Eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Die Fragen des Unionsrechts sind, soweit im vorliegenden Verfahren von Bedeutung, mit Verkündung der Entscheidung des EuGH vom 14.12.2023 (C-206/22 - Sparkasse Südpfalz) als geklärt anzusehen.

Die neu in das Infektionsschutzgesetz aufgenommene Bestimmung des § 59 Abs. 1 IfSG, wonach die Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden, gilt erst ab September 2022 und findet daher auf den streitgegenständlichen Zeitraum keine Anwendung.

Parallele Entscheidungen des BAG:

9 AZR 112/22

9 AZR 134/22

9 AZR 100/22

9 AZR 248/22

9 AZR 216/22

9 AZR 247/22


Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag:
EuGH: Keine Nachgewährung von Urlaub wegen Quarantäne
ArbRB 2024, 1

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