16.04.2013

Kündigung Schwerbehinderter in der Insolvenz: Integrationsamt darf Zustimmung nicht allein auf Namensliste stützen

Das Integrationsamt darf der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers durch den Insolvenzverwalter nicht schon dann zustimmen, wenn der Arbeitnehmer in der Namensliste zum Interessenausgleich aufgeführt ist. Erforderlich ist vielmehr die weitergehende Prüfung, ob der Interessensausgleich der besonderen Situation von schwerbehinderten Beschäftigten Rechnung getragen hat. Der kündigende Insolvenzverwalter muss insoweit vortragen, nach welchen Kriterien die Sozialauswahl erfolgt ist.

VG Stuttgart 4.3.2013, 11 K 3968/12
Der Sachverhalt:
Die mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 schwerbehinderte Klägerin war bei der Firma Anton Schlecker e.K. als Bezirksleiterin beschäftigt. Über das Vermögen der Firma wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter vereinbarte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, der u.a. die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin vorsah.

Der Insolvenzverwalter beantragte beim beklagten Integrationsamt unter Verweis auf den Interessenausgleich mit Namensliste die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin, die auch erteilt wurde. Daraufhin kündigte er das Arbeitsverhältnis am 6.6.2012 ordentlich. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage der Klägerin vor dem Arbeitsgericht ruht. Gleichzeitig ging die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht gegen die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts vor. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt.

Die Gründe:
Das Integrationsamt hat der Kündigung der Klägerin zu Unrecht zugestimmt.

Das Zustimmungserfordernis ergibt sich aus § 85 SGB IX. Die Zustimmung steht grds. im Ermessen des Integrationsamts. Dieses Ermessen ist bei Insolvenz des Arbeitgebers allerdings eingeschränkt. In diesem Fall gilt gem. § 89 Abs. 3 SGB IX, dass das Integrationsamt die Zustimmung erteilen soll, wenn

  • der schwerbehinderte Mensch in einem Interessenausgleich namentlich als einer der zu entlassenden Arbeitnehmer bezeichnet ist (§ 125 der Insolvenzordnung),
  • die Schwerbehindertenvertretung beim Zustandekommen des Interessenausgleichs gem. § 95 Abs. 2 beteiligt worden ist,
  • der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden schwerbehinderten Menschen im Betrieb nicht größer ist als der Anteil der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer und
  • die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen, die nach dem Interessenausgleich bei dem Arbeitgeber verbleiben sollen, zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 ausreicht.

Vorliegend hat das Integrationsamt die Vorgaben von § 89 Abs. 3 SGB IX nicht hinreichend beachtet. Es hätte bei der Erteilung der Zustimmung zur Kündigung der Klägerin nicht allein auf den Interessenausgleich mit Namensliste, die auch den Namen der Klägerin enthielt, abstellen dürfen. Vielmehr hätte es sich vergewissern müssen, dass der Interessensausgleich der besonderen Situation von schwerbehinderten Beschäftigten und insbesondere der Situation der Klägerin überhaupt Rechnung getragen hat.

Insoweit fehlte eine ausreichende Entscheidungsgrundlage. Denn der Interessenausgleich lässt nicht erkennen, nach welchen Kriterien die Sozialauswahl erfolgt ist. Insbesondere bleibt unklar, ob die Gruppe der schwerbehinderten Beschäftigten bei der Auswahl besonders gewichtet worden ist und ggf. nach welchen Gesichtspunkten. Weder der Interessenausgleich noch seine Anlagen enthielten ein Punkte-Schema oder Ähnliches. Der Insolvenzverwalter der Fa. Schlecker hat in dem Zustimmungsverfahren die Auswahlkriterien auch nicht dargelegt; hierzu ist er vom Integrationsamt auch nicht aufgefordert worden.

VG Stuttgart PM v. 15.4.2013
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