07.10.2024

Leiharbeit: Wie berechnet sich die Überlassungshöchstdauer bei Betriebsübergang auf Entleiherseite?

Das BAG hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, um zu klären, wie die in § 1 Abs. 1b Satz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelte Überlassungshöchstdauer unionsrechtskonform zu berechnen ist, wenn auf Entleiherseite ein Betriebsübergang stattgefunden hat.

BAG v. 1.10.2024 - 9 AZR 264/23 (A)
Der Sachverhalt:
Die Beklagte gehört einer Unternehmensgruppe an, die u.a. Sanitärarmaturen herstellt. Als Unternehmen für Logistik unterhält die Beklagte am Ort der Produktionsstätte einen Betrieb, in dem die Produkte verpackt, gelagert und für den Transport vorbereitet werden. Die vormals von dem Produktionsunternehmen als Betriebsteil selbst geführte Logistik ist zum 1.7.2018 auf die Beklagte übergegangen.

Der Kläger war in der Logistik durchgängig vom 16.6.2017 bis zum 6.4.2022 als Leiharbeitnehmer mit der Kommissionierung von Produkten betraut. Bis zu dem Betriebsteilübergang auf die Beklagte am 1.7.2018 war Entleiherin das Produktionsunternehmen. Die Beklagte ist ebenso wie das Produktionsunternehmen Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie NRW eV.

§ 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG bestimmt, dass der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate "demselben Entleiher" überlassen darf, wobei durch oder aufgrund Tarifvertrags der Einsatzbranche gemäß § 1 Abs. 1b AÜG eine vom Gesetz abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden kann.

Der Kläger hat geltend gemacht, zwischen den Parteien sei zum 16.12.2018 wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Das Produktionsunternehmen als Betriebsveräußerer und die Beklagte als Betriebserwerberin seien im Sinne des Gesetzes als derselbe Entleiher anzusehen. Die Beklagte vertritt die gegenteilige Auffassung. Im Fall eines Übergangs des Einsatzbetriebs auf einen anderen Inhaber beginne die Überlassungshöchstdauer neu zu laufen. Dies gelte auch dann, wenn der Leiharbeitnehmer nach dem Übergang des Betriebs unverändert auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt werde. Die Beklagte beruft sich außerdem darauf, dass die gesetzlich zulässige Überlassungshöchstdauer aufgrund Tarifvertrags durch Betriebsvereinbarungen auf zuletzt 48 Monate verlängert worden sei.

Das ArbG wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hat das LAG das Urteil abgeändert und u.a. festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 16.6.2021 ein Arbeitsverhältnis besteht. Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Beklagte Revision eingelegt.

Das BAG hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH nach Art. 267 AEUV zur Klärung folgender Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2008/104/EG ersucht:

1. Sind bei der Berechnung einer nach nationalem Recht zur Konkretisierung des Merkmals "vorübergehend" in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG festgelegten Überlassungshöchstdauer im Fall eines Betriebsübergangs Veräußerer und Erwerber stets als ein "entleihendes Unternehmen" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2008/104/EG anzusehen?
2. Wenn die erste Frage verneint wird:
Sind bei der Berechnung einer nach nationalem Recht zur Konkretisierung des Merkmals "vorübergehend" in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG festgelegten Überlassungshöchstdauer im Fall eines Betriebsübergangs Veräußerer und Erwerber als ein "entleihendes Unternehmen" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2008/104/EG anzusehen, wenn sie demselben Konzern angehören und die Überlassung desselben Leiharbeitnehmers ununterbrochen auf demselben Arbeitsplatz erfolgt?
3. Wenn die ersten beiden Fragen verneint werden:
Ist der Übergang eines entleihenden Betriebs im Rahmen der Kontrolle, ob bei aufeinanderfolgenden Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers die Dauer noch als "vorübergehend" betrachtet werden kann (Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG) zu berücksichtigen? Wenn dies bejaht wird: In welcher Weise?


Die Gründe:
Klärungsbedürftig sind die Fragen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei der Berechnung der Überlassungsdauer im Fall eines Betriebsübergangs Veräußerer und Erwerber als ein "entleihendes Unternehmen" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie anzusehen sind. Davon hängt es ab, ob das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten 18 Monate nach der Überlassung des Klägers zum 16.12.2018 oder erst 18 Monate nach dem Betriebsteilübergang zum 1.1.2020 zustande gekommen ist.

Auf die abweichend vom Gesetz nach dem Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens zulässige Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten konnte sich die Beklagte nicht berufen. Sie unterhält keinen Hilfs- oder Nebenbetrieb, der dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrags unterliegt. Die dort anfallenden Logistiktätigkeiten sind nicht Teil des Fertigungsprozesses.

+++ Hinweis: +++
Das BAG hat ein Parallelverfahren - 9 AZR 263/23 - ebenfalls ausgesetzt bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen.

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