Männlicher Bewerber durfte nicht Sekretärin werden - Keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG
BAG v. 19.9.2024 - 8 AZR 21/24
Der Sachverhalt:
Der heute 30-jährige Kläger hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Er war zuletzt arbeitslos. Im Zeitpunkt der Einleitung des vorliegenden Klageverfahrens absolvierte er ein Fernstudium "zum Wirtschaftsjuristen (LL.M.)". Anfang 2021 hatte der Kläger sich erstmals auf dem Internet-Portal "eBay Kleinanzeigen" auf eine Stellenausschreibung für eine "Sekretärin" (damals von einer Kfz-Werkstatt) beworben. Nach Ablehnung seiner Bewerbung klagte er letztlich erfolgreich auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Es folgten noch weitere Bewerbungen auf Stellenausschreibungen für Sekretärinnen in ganz Deutschland, bei denen der Kläger bei Absagen auf Entschädigung klagte. Mindestens drei davon blieben auch im Berufungsverfahren erfolglos.
Am 3.1.2023 bewarb sich der Kläger bei der Beklagten, die in Dortmund eine Ingenieurgesellschaft betreibt, auf eine im Portal "Indeed" veröffentlichte Stellenanzeige für eine "Bürokauffrau/Sekretärin". Dabei gab er in einem auf der Plattform hinterlegten Lebenslauf u.a. an, sieben Jahre Erfahrung als Sekretär und in Microsoft Office zu haben. Konkretere zeitliche Angaben, Nachweise zur Ausbildung/Lehre sowie zu etwaigen Vorbeschäftigungen enthielt das Dokument nicht. Der Kläger erhielt auf seine Bewerbung von der Beklagten keine Rückmeldung. Die Stellenanzeige wurde zwischenzeitlich auf der Website gelöscht und die Stelle wurde von der Beklagten mit einer Frau besetzt.
Der Kläger verlangte von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung von mind. 6.000 € nach § 15 Abs. 2 AGG. Er war der Ansicht, die Stelle sei entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG nicht geschlechtsneutral ausgeschrieben, sondern ausschließlich an weibliche Personen adressiert gewesen. Die sich daraus begründende Vermutung, dass seine Bewerbung wegen seines männlichen Geschlechts keine Berücksichtigung gefunden habe, habe die Beklagte nicht widerlegt.
Die Klage blieb vor dem Arbeitsgericht und dem LAG erfolglos. Das galt auch für die Revision des Klägers vor dem BAG.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen. Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Zwar führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung i.S.v. § 242 BGB vor.
Die EuGH-Rechtsprechung, der sich das BAG angeschlossen hat, verlangt die Feststellung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im vorstehenden Sinne das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Das Missbrauchsverbot ist allerdings nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten auch eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen, die gegenüber einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Einwendung des Rechtsmissbrauchs begründen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Dieser muss deshalb Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den rechtshindernden Einwand begründen. Der Kläger hatte im Rahmen seines bei "Indeed" eingestellten Lebenslaufs darauf verzichtet, nähere Angaben zu seiner Erwerbsbiographie zu machen, die eine entsprechende (Berufs-)Erfahrung hätten belegen können. Die Annahme des LAG, wonach ein solches Verhalten - zumindest in der Gemengelage mit weiteren, gegen ein ernsthaftes Interesse am Erhalt der Stelle sprechenden Umständen - ein objektiver Anhaltspunkt für Rechtsmissbrauch sein kann, steht im Einklang mit der BAG-Rechtsprechung.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Generationenbezug in Stellenanzeige ("Digital Native") als Indiz für eine Diskriminierung wegen des Alters
ArbG Heilbronn vom 18.1.2024 - 8 CA 191/23
Jürgen Markowski, ArbRB 2024, 103
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Der heute 30-jährige Kläger hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Er war zuletzt arbeitslos. Im Zeitpunkt der Einleitung des vorliegenden Klageverfahrens absolvierte er ein Fernstudium "zum Wirtschaftsjuristen (LL.M.)". Anfang 2021 hatte der Kläger sich erstmals auf dem Internet-Portal "eBay Kleinanzeigen" auf eine Stellenausschreibung für eine "Sekretärin" (damals von einer Kfz-Werkstatt) beworben. Nach Ablehnung seiner Bewerbung klagte er letztlich erfolgreich auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Es folgten noch weitere Bewerbungen auf Stellenausschreibungen für Sekretärinnen in ganz Deutschland, bei denen der Kläger bei Absagen auf Entschädigung klagte. Mindestens drei davon blieben auch im Berufungsverfahren erfolglos.
Am 3.1.2023 bewarb sich der Kläger bei der Beklagten, die in Dortmund eine Ingenieurgesellschaft betreibt, auf eine im Portal "Indeed" veröffentlichte Stellenanzeige für eine "Bürokauffrau/Sekretärin". Dabei gab er in einem auf der Plattform hinterlegten Lebenslauf u.a. an, sieben Jahre Erfahrung als Sekretär und in Microsoft Office zu haben. Konkretere zeitliche Angaben, Nachweise zur Ausbildung/Lehre sowie zu etwaigen Vorbeschäftigungen enthielt das Dokument nicht. Der Kläger erhielt auf seine Bewerbung von der Beklagten keine Rückmeldung. Die Stellenanzeige wurde zwischenzeitlich auf der Website gelöscht und die Stelle wurde von der Beklagten mit einer Frau besetzt.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen. Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Zwar führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung i.S.v. § 242 BGB vor.
Die EuGH-Rechtsprechung, der sich das BAG angeschlossen hat, verlangt die Feststellung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im vorstehenden Sinne das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Das Missbrauchsverbot ist allerdings nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten auch eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen, die gegenüber einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Einwendung des Rechtsmissbrauchs begründen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Dieser muss deshalb Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den rechtshindernden Einwand begründen. Der Kläger hatte im Rahmen seines bei "Indeed" eingestellten Lebenslaufs darauf verzichtet, nähere Angaben zu seiner Erwerbsbiographie zu machen, die eine entsprechende (Berufs-)Erfahrung hätten belegen können. Die Annahme des LAG, wonach ein solches Verhalten - zumindest in der Gemengelage mit weiteren, gegen ein ernsthaftes Interesse am Erhalt der Stelle sprechenden Umständen - ein objektiver Anhaltspunkt für Rechtsmissbrauch sein kann, steht im Einklang mit der BAG-Rechtsprechung.
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