Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Zusatzurlaubstages bei mehr als 25-jähriger Betriebszugehörigkeit?
LAG Niedersachsen v. 28.5.2024 - 11 TaBV 76/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligte zu 1) stellt in ihrer Betriebsstätte Süßwaren her. Der Beteiligte zu 2) ist der für die Betriebsstätte gebildete Betriebsrat. Es findet der Bundesmanteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmern und Auszubildenden für die Süßwarenindustrie (im folgenden BMTV) Anwendung.
§ 12 I A Nr. 10 BMTV lautet:
"Die Gewährung eines zusätzlichen Urlaubs für Arbeitnehmer, die dem Betrieb länger als 25 Jahre angehören, ist betrieblich zu regeln."
Der Beteiligte zu 2) war der Auffassung, dass sich aus der derzeitigen tarifvertraglichen Regelung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zur Einführung eines Urlaubsanspruches für Arbeitnehmer ergibt, welche über eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 25 Jahren verfügen. Sie leitete daher im Jahr 2021 ein Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand der Gewährung eines zusätzlichen Urlaubs gem. § 12 1 A Nr. 10 BMTV ein. In ihrer Sitzung am 3.12.2021 fällte die Einigungsstelle einen Spruch, nach dessen Inhalt Beschäftigte des Betriebes der Beteiligten zu 1) gestaffelt nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 25, 30 und 35 Jahren Anspruch auf einen zusätzlichen Urlaub von bis zu vier Arbeitstagen im Urlaubsjahr erwerben.
Das Arbeitsgericht Lüneburg hat mit Beschluss vom 17.8.2023 festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam sei. Die Einigungsstelle sei mangels Vorliegen eines Mitbestimmungsrechtes nicht zuständig gewesen. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2) zurückgewiesen. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen.
Die Gründe:
Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bezüglich des in § 12 I A Nr. 10 des Bundesmanteltarifvertrages (BMTV) angesprochenen Zusatzurlaubes für Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit (ab 25 Jahren) nicht besteht.
Ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG besteht nicht, insbesondere ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats über die Höhe von Urlaubsansprüchen. Zwar entspricht es ständiger BAG-Rechtsprechung, dass eine Erweiterung von Mitbestimmungsrechten über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus durch Tarifvertrag möglich ist, wovon auch das Arbeitsgericht stillschweigend ausgegangen war. Aus dem Bestehen eines zwingenden Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 BetrVG folgt regelmäßig auch ein entsprechendes Initiativrecht des Betriebsrates, mit dem er eine entsprechende betriebliche Regelung ggf. durch Spruch der Einigungsstelle durchsetzen kann. Allerdings gilt dies nicht in Bezug auf die Einführung freiwilliger Leistungen. Ob bezüglich der Gewährung zusätzlicher Urlaubstage, für die im Tarifvertrag selbst kein Maßstab angelegt ist, ein Initiativrecht deswegen ausscheidet, mag dahinstehen.
Im Ergebnis ist aus § 12 I A Nr. 10 BMTV ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zur Regelung eines Zusatzurlaubes für langjährig Beschäftigte nicht abzuleiten. Die Auslegung des Wortlautes der Tarifvorschrift führte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zweifel daran, dass eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats gewollt war, ergaben sich u.a. aus der weiteren Tarifgeschichte: In der Zeit von März 1979 bis Januar 2005 war in § 3 III BMTV ein tariflicher Anspruch von Arbeitnehmern ab dem vollendeten 60. Lebensjahr auf eine "zusätzliche Freistellung" von 18 Arbeitstagen enthalten. Allerdings wurde § 11 BMTV im Jahr 1979 eben nicht gestrichen. Auch im Zusammenhang mit tariflichen Altersteilzeitregelungen wurde § 12 I A Nr. 10 BMTV nicht aufgehoben.
Nach ständiger Formulierung des BAG kann in Zweifelsfällen auch die Tarifpraxis zur Auslegung einer Tarifnorm herangezogen werden. Diesbezüglich war festzustellen, dass der Beteiligte zu 2) auch etwa aus der jüngeren Vergangenheit, etwa ab den 1980er Jahren keine Fälle hat belegen können, wonach ein Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung nach § 12 BMTV S. unter Berufung auf ein zwingendes Mitbestimmungsrecht durchgesetzt hat.
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Die Beteiligte zu 1) stellt in ihrer Betriebsstätte Süßwaren her. Der Beteiligte zu 2) ist der für die Betriebsstätte gebildete Betriebsrat. Es findet der Bundesmanteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmern und Auszubildenden für die Süßwarenindustrie (im folgenden BMTV) Anwendung.
§ 12 I A Nr. 10 BMTV lautet:
"Die Gewährung eines zusätzlichen Urlaubs für Arbeitnehmer, die dem Betrieb länger als 25 Jahre angehören, ist betrieblich zu regeln."
Der Beteiligte zu 2) war der Auffassung, dass sich aus der derzeitigen tarifvertraglichen Regelung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zur Einführung eines Urlaubsanspruches für Arbeitnehmer ergibt, welche über eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 25 Jahren verfügen. Sie leitete daher im Jahr 2021 ein Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand der Gewährung eines zusätzlichen Urlaubs gem. § 12 1 A Nr. 10 BMTV ein. In ihrer Sitzung am 3.12.2021 fällte die Einigungsstelle einen Spruch, nach dessen Inhalt Beschäftigte des Betriebes der Beteiligten zu 1) gestaffelt nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 25, 30 und 35 Jahren Anspruch auf einen zusätzlichen Urlaub von bis zu vier Arbeitstagen im Urlaubsjahr erwerben.
Das Arbeitsgericht Lüneburg hat mit Beschluss vom 17.8.2023 festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam sei. Die Einigungsstelle sei mangels Vorliegen eines Mitbestimmungsrechtes nicht zuständig gewesen. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2) zurückgewiesen. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen.
Die Gründe:
Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bezüglich des in § 12 I A Nr. 10 des Bundesmanteltarifvertrages (BMTV) angesprochenen Zusatzurlaubes für Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit (ab 25 Jahren) nicht besteht.
Ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG besteht nicht, insbesondere ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats über die Höhe von Urlaubsansprüchen. Zwar entspricht es ständiger BAG-Rechtsprechung, dass eine Erweiterung von Mitbestimmungsrechten über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus durch Tarifvertrag möglich ist, wovon auch das Arbeitsgericht stillschweigend ausgegangen war. Aus dem Bestehen eines zwingenden Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 BetrVG folgt regelmäßig auch ein entsprechendes Initiativrecht des Betriebsrates, mit dem er eine entsprechende betriebliche Regelung ggf. durch Spruch der Einigungsstelle durchsetzen kann. Allerdings gilt dies nicht in Bezug auf die Einführung freiwilliger Leistungen. Ob bezüglich der Gewährung zusätzlicher Urlaubstage, für die im Tarifvertrag selbst kein Maßstab angelegt ist, ein Initiativrecht deswegen ausscheidet, mag dahinstehen.
Im Ergebnis ist aus § 12 I A Nr. 10 BMTV ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zur Regelung eines Zusatzurlaubes für langjährig Beschäftigte nicht abzuleiten. Die Auslegung des Wortlautes der Tarifvorschrift führte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zweifel daran, dass eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats gewollt war, ergaben sich u.a. aus der weiteren Tarifgeschichte: In der Zeit von März 1979 bis Januar 2005 war in § 3 III BMTV ein tariflicher Anspruch von Arbeitnehmern ab dem vollendeten 60. Lebensjahr auf eine "zusätzliche Freistellung" von 18 Arbeitstagen enthalten. Allerdings wurde § 11 BMTV im Jahr 1979 eben nicht gestrichen. Auch im Zusammenhang mit tariflichen Altersteilzeitregelungen wurde § 12 I A Nr. 10 BMTV nicht aufgehoben.
Nach ständiger Formulierung des BAG kann in Zweifelsfällen auch die Tarifpraxis zur Auslegung einer Tarifnorm herangezogen werden. Diesbezüglich war festzustellen, dass der Beteiligte zu 2) auch etwa aus der jüngeren Vergangenheit, etwa ab den 1980er Jahren keine Fälle hat belegen können, wonach ein Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung nach § 12 BMTV S. unter Berufung auf ein zwingendes Mitbestimmungsrecht durchgesetzt hat.
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