"On/Off-Beziehung" zwischen Vorgesetztem und Arbeitnehmerin - Betriebsrat durfte intimen Chatverlauf weiterleiten
ArbG Bonn v. 20.11.2024 - 5 Ca 663/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger war als Verkaufsleiter angestellt. Der Beklagte war u.a. Betriebsratsvorsitzender. Von September 2022 bis Juli 2023 unterhielt der Kläger eine von ihm als "On/Off-Beziehung" bezeichnete Verbindung zu Frau N., einer damaligen Arbeitnehmerin, deren Vorgesetzter er war. Im Rahmen der Beziehung kam es zu Auseinandersetzungen. Der Kläger und Frau N. tauschten diverse WhatsApp-Nachrichten aus. Frau N. übermittelte dem Beklagten Auszüge aus dem Chatverkehr, die dieser an die Personalabteilung weitergab.
Die außergerichtliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs i.H.v. 5.000 € wegen der vom Kläger angenommenen Rechtswidrigkeit der Weiterleitung blieb erfolglos. Der Kläger behauptete, dass er sich von Frau N. gütlich getrennt habe. Ein Strafverfahren sei eingestellt worden. Die Tatsache, dass der Beklagte den intimen WhatsApp-Chatverlauf weitergeleitet und eine Strafanzeige ohne Rücksprache mit ihm und ohne - jedenfalls geschäftsordnungsmäßige - Befassung des Betriebsrats, etc. gestellt habe, habe letztlich zu seiner Freistellung und dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags geführt. Der Beklagte habe auch nicht in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied gehandelt, weshalb er sich nicht auf § 79a BetrVG berufen könne. Es habe kein datenschutzrechtlicher Erlaubnistatbestand gem. Art. 6 DSGVO für die Weitergabe bestanden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Schadensersatz i.H.v. 5.000 € abgewiesen.
Die Gründe:
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der Beklagte durch die Weitergabe von privater Korrespondenz zwischen ihm und Frau N. an die Personalabteilung rechtswidrig sein allgemeines Persönlichkeitsrecht gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG verletzt und sich daraus ein Schadensersatzanspruch ergeben hätte.
Zu berücksichtigen war insbesondere, dass der Kläger der Vorgesetzte der Frau N. war, womit ein auf die private Beziehung einwirkendes Subordinationsverhältnis mit besonderer Anfälligkeit für einen potentiellen Machtmissbrauch eines von einer Frau zurückgewiesenen Mannes einherging. Der Chatverlauf zeigte ein erhebliches und mehrfach zurückgewiesenes Drängen des Klägers auf ein persönliches Treffen mit Frau N. und damit eine Situation, die zumindest potentiell aufgrund der auch beruflichen Verbindung des Klägers mit Frau N. in den Anwendungsbereich von § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 3 AGG (Belästigung von Beschäftigten) fiel.
Das beharrliche Insistieren des Klägers löste das Recht von Frau N. aus, über den Kläger bei dem gemeinsamen Arbeitgeber eine Beschwerde gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 AGG zu führen. In diesem Zusammenhang war zu berücksichtigen, dass das Beschwerderecht gem. § 13 Abs. 1 AGG nicht nur besteht, wenn tatsächlich gegen das AGG verstoßen worden ist, sondern dass es bereits genügt, wenn der Beschäftigte - vorbehaltlich eines Missbrauchs des Beschwerderechts - meint, benachteiligt worden zu sein. Ob eine Benachteiligung gegeben war und ggf. Abhilfemaßnahmen zu ergreifen sind, kann im Beschwerdeverfahren geklärt werden.
Parallel bestand ein Beschwerderecht der Frau N. gem. § 84 Abs. 1 BetrVG. Danach hat jeder Arbeitnehmer das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen (§ 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Nichts anderes gilt im Anwendungsbereich des Beschwerderechts gem. § 13 Abs. 1 AGG, zumal bei Einreichung bei einer betrieblich unzuständigen Stelle eine Weiterleitung der Beschwerde an die zuständige Stelle zu erfolgen hat. Dass der Beklagte den Chatverlauf eigenmächtig, d.h. ohne Wunsch von Frau N., an die Personalabteilung weiterleitete, hat der Kläger nicht behauptet. Der Beklagte leistete Frau N. Unterstützung in Wahrnehmung seines gesetzlichen Auftrags aus § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
Gem. § 13 Abs. 2 AGG bleiben die Rechte der Arbeitnehmervertretungen von dem individuellen Beschwerderecht unberührt. Dies bedeutet, dass eine individuelle Beschwerde gem. § 13 Abs. 1 AGG und § 84 Abs. 1 BetrVG ohne weiteres parallel zu einem kollektivrechtlichen Beschwerdeverfahren gem. §§ 85 f. BetrVG geführt werden kann. Handelt ein Betriebsratsmitglied zur Unterstützung bei Führung einer individuellen Beschwerde gem. § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, weist § 79a Satz 2 BetrVG die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit dem Arbeitgeber zu. Ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO gegen das Betriebsratsmitglied ist in diesem Fall ausgeschlossen.
Mehr zum Thema:
Aufsatz
Ebba Herfs-Röttgen
"Schreib mir kurz auf WhatsApp" - Zur Nutzung von Chatprogrammen im Arbeitsverhältnis
ArbRB 2024, 337
Aktionsmodul Arbeitsrecht inkl. Otto Schmidt Answers
Otto Schmidt Answers spart Zeit. Die hochentwickelte KI beantwortet Fragen zum Arbeitsrecht im Handumdrehen und auf Basis rechtssicherer Quellen. Mit Tipps zur Antragsstellung und gestaltenden Beratung für das gesamte Arbeitsrecht. Die praxisbewährte KI verbindet die fundierte Qualität der Literatur des Aktionsmoduls Arbeitsrecht mit der Power fortschrittlicher Sprachmodelle. 4 Wochen gratis nutzen!
Justiz NRW
Der Kläger war als Verkaufsleiter angestellt. Der Beklagte war u.a. Betriebsratsvorsitzender. Von September 2022 bis Juli 2023 unterhielt der Kläger eine von ihm als "On/Off-Beziehung" bezeichnete Verbindung zu Frau N., einer damaligen Arbeitnehmerin, deren Vorgesetzter er war. Im Rahmen der Beziehung kam es zu Auseinandersetzungen. Der Kläger und Frau N. tauschten diverse WhatsApp-Nachrichten aus. Frau N. übermittelte dem Beklagten Auszüge aus dem Chatverkehr, die dieser an die Personalabteilung weitergab.
Die außergerichtliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs i.H.v. 5.000 € wegen der vom Kläger angenommenen Rechtswidrigkeit der Weiterleitung blieb erfolglos. Der Kläger behauptete, dass er sich von Frau N. gütlich getrennt habe. Ein Strafverfahren sei eingestellt worden. Die Tatsache, dass der Beklagte den intimen WhatsApp-Chatverlauf weitergeleitet und eine Strafanzeige ohne Rücksprache mit ihm und ohne - jedenfalls geschäftsordnungsmäßige - Befassung des Betriebsrats, etc. gestellt habe, habe letztlich zu seiner Freistellung und dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags geführt. Der Beklagte habe auch nicht in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied gehandelt, weshalb er sich nicht auf § 79a BetrVG berufen könne. Es habe kein datenschutzrechtlicher Erlaubnistatbestand gem. Art. 6 DSGVO für die Weitergabe bestanden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Schadensersatz i.H.v. 5.000 € abgewiesen.
Die Gründe:
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der Beklagte durch die Weitergabe von privater Korrespondenz zwischen ihm und Frau N. an die Personalabteilung rechtswidrig sein allgemeines Persönlichkeitsrecht gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG verletzt und sich daraus ein Schadensersatzanspruch ergeben hätte.
Zu berücksichtigen war insbesondere, dass der Kläger der Vorgesetzte der Frau N. war, womit ein auf die private Beziehung einwirkendes Subordinationsverhältnis mit besonderer Anfälligkeit für einen potentiellen Machtmissbrauch eines von einer Frau zurückgewiesenen Mannes einherging. Der Chatverlauf zeigte ein erhebliches und mehrfach zurückgewiesenes Drängen des Klägers auf ein persönliches Treffen mit Frau N. und damit eine Situation, die zumindest potentiell aufgrund der auch beruflichen Verbindung des Klägers mit Frau N. in den Anwendungsbereich von § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 3 AGG (Belästigung von Beschäftigten) fiel.
Das beharrliche Insistieren des Klägers löste das Recht von Frau N. aus, über den Kläger bei dem gemeinsamen Arbeitgeber eine Beschwerde gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 AGG zu führen. In diesem Zusammenhang war zu berücksichtigen, dass das Beschwerderecht gem. § 13 Abs. 1 AGG nicht nur besteht, wenn tatsächlich gegen das AGG verstoßen worden ist, sondern dass es bereits genügt, wenn der Beschäftigte - vorbehaltlich eines Missbrauchs des Beschwerderechts - meint, benachteiligt worden zu sein. Ob eine Benachteiligung gegeben war und ggf. Abhilfemaßnahmen zu ergreifen sind, kann im Beschwerdeverfahren geklärt werden.
Parallel bestand ein Beschwerderecht der Frau N. gem. § 84 Abs. 1 BetrVG. Danach hat jeder Arbeitnehmer das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen (§ 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Nichts anderes gilt im Anwendungsbereich des Beschwerderechts gem. § 13 Abs. 1 AGG, zumal bei Einreichung bei einer betrieblich unzuständigen Stelle eine Weiterleitung der Beschwerde an die zuständige Stelle zu erfolgen hat. Dass der Beklagte den Chatverlauf eigenmächtig, d.h. ohne Wunsch von Frau N., an die Personalabteilung weiterleitete, hat der Kläger nicht behauptet. Der Beklagte leistete Frau N. Unterstützung in Wahrnehmung seines gesetzlichen Auftrags aus § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
Gem. § 13 Abs. 2 AGG bleiben die Rechte der Arbeitnehmervertretungen von dem individuellen Beschwerderecht unberührt. Dies bedeutet, dass eine individuelle Beschwerde gem. § 13 Abs. 1 AGG und § 84 Abs. 1 BetrVG ohne weiteres parallel zu einem kollektivrechtlichen Beschwerdeverfahren gem. §§ 85 f. BetrVG geführt werden kann. Handelt ein Betriebsratsmitglied zur Unterstützung bei Führung einer individuellen Beschwerde gem. § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, weist § 79a Satz 2 BetrVG die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit dem Arbeitgeber zu. Ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO gegen das Betriebsratsmitglied ist in diesem Fall ausgeschlossen.
Aufsatz
Ebba Herfs-Röttgen
"Schreib mir kurz auf WhatsApp" - Zur Nutzung von Chatprogrammen im Arbeitsverhältnis
ArbRB 2024, 337
Aktionsmodul Arbeitsrecht inkl. Otto Schmidt Answers
Otto Schmidt Answers spart Zeit. Die hochentwickelte KI beantwortet Fragen zum Arbeitsrecht im Handumdrehen und auf Basis rechtssicherer Quellen. Mit Tipps zur Antragsstellung und gestaltenden Beratung für das gesamte Arbeitsrecht. Die praxisbewährte KI verbindet die fundierte Qualität der Literatur des Aktionsmoduls Arbeitsrecht mit der Power fortschrittlicher Sprachmodelle. 4 Wochen gratis nutzen!