25.08.2022

Restricted Stock Units (RSUs): Nachvertragliches Wettbewerbsverbot und Berechnung der Karenzentschädigung

Der Begriff der "vertragsmäßigen Leistungen" i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB, auf deren Grundlage sich bei einem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die gesetzliche (Mindest-)Karenzentschädigung berechnet, umfasst nur solche Leistungen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für geleistete Arbeit schuldet. Deshalb sind, soweit der Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Gewährung von Restricted Stock Units (RSUs - beschränkte Aktienerwerbsrechte) nicht mit seinem Arbeitgeber, sondern mit der Obergesellschaft der Unternehmensgruppe schließt, der sein Vertragsarbeitgeber angehört, die dem Arbeitnehmer seitens der Obergesellschaft gewährten RSUs bzw. die ihm zugeteilten Aktien grundsätzlich nicht Teil der "vertragsmäßigen Leistungen" i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB.

BAG v. 25.8.2022 - 8 AZR 453/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger war von Januar 2012 bis Januar 2020 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Sein mtl. Grundgehalt belief sich zuletzt auf rd. 10.700 € brutto. Die Beklagte ist Mitglied einer Unternehmensgruppe, deren Obergesellschaft ein US-amerikanisches Unternehmen ist. Der im Dezember 2011 geschlossene Arbeitsvertrag des Klägers enthält unter § 15 die Vereinbarung eines neunmonatigen konzernweiten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Im Gegenzug verpflichtete sich die Arbeitgeberin, an den Kläger "nach Ende der Anstellung eine Entschädigung zu zahlen, welche für jedes Jahr des Verbots die Hälfte der vom Angestellten zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erreicht". Ergänzend wurde die Geltung der §§ 74 ff. HGB vereinbart. Während seines Arbeitsverhältnisses partizipierte der Kläger an dem "RSU-Programm" der Obergesellschaft und erhielt auf der Grundlage der von ihm mit dieser jeweils separat getroffenen "Global Restricted Stock Unit Award Agreements" jährlich eine bestimmte Anzahl von RSUs.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger, der sich nach seinem Ausscheiden an das Wettbewerbsverbot gehalten hat, die Beklagte zuletzt noch auf Zahlung von Karenzentschädigung i.H.v. insgesamt rd. 80.000 € brutto nebst Zinsen in Anspruch. Er ist der Auffassung, ihm stehe für die Karenzzeit - über den von der Beklagten bereits gezahlten und den ihm erstinstanzlich rechtskräftig zuerkannten weiteren Betrag hinaus - eine weitere Karenzentschädigung i.H.v. rd. 8.900 € brutto mtl. zu. Bei der Berechnung der Karenzentschädigung seien auch die ihm gewährten RSUs zu berücksichtigen. Darauf, wer Schuldner dieser Leistungen sei, könne es schon in Anbetracht der Möglichkeit der Einflussnahme der Obergesellschaft auf die Vertragsbedingungen im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht ankommen.

ArbG und LAG wiesen die Klage im noch streitgegenständlichen Umfang ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Wie das LAG zutreffend erkannt hat, hat der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Karenzentschädigung.

Ein solcher Anspruch hätte sich nur unter Berücksichtigung der dem Kläger seitens der Obergesellschaft gewährten RSUs ergeben können. Bei diesen handelt es sich jedoch nicht um "vertragsmäßige Leistungen" im Sinne der unter § 15 des Arbeitsvertrags über die Höhe der Karenzentschädigung getroffenen Vereinbarung. Diese Vereinbarung greift den Wortlaut von § 74 Abs. 2 HGB auf und ist mithin dahin zu verstehen, dass die Beklagte dem Kläger eine Karenzentschädigung in Höhe der gesetzlichen Mindestentschädigung zugesagt hat.

Für die Auslegung des Begriffs der "vertragsmäßigen Leistungen" in § 15 des Arbeitsvertrags gilt demnach nichts anderes als für die Auslegung des entsprechenden Rechtsbegriffs in § 74 Abs. 2 HGB. Der Begriff der "vertragsmäßigen Leistungen" i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB, auf deren Grundlage sich bei der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots die gesetzliche (Mindest-)Karenzentschädigung berechnet, umfasst nur solche Leistungen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für geleistete Arbeit schuldet.

Da der Kläger die jeweiligen "Global Restricted Stock Unit Award Agreements", also die Vereinbarungen über die Gewährung der RSUs, nicht mit der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen, sondern mit der Obergesellschaft getroffen hat, setzt die Berücksichtigung der RSUs bei der Berechnung der Karenzentschädigung zumindest voraus, dass die Beklagte im Hinblick auf die Gewährung dieser RSUs - ausdrücklich oder konkludent - eine (Mit-)Verpflichtung übernommen hatte. Die Beklagte ist jedoch, wie das LAG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls rechtsfehlerfrei angenommen hat, weder ausdrücklich noch konkludent eine solche (Mit-)Verpflichtung eingegangen.

Insbesondere war eine andere Bewertung nicht deshalb geboten, weil die Parteien in § 15 des Arbeitsvertrags ein "konzernweites" Wettbewerbsverbot vereinbart hatten. Selbst wenn die Wettbewerbsabrede hinsichtlich ihres vereinbarten Konzernbezugs nicht dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen der Beklagten gedient haben sollte, hätte dies nach § 74a Abs. 1 HGB "nur" eine Rückführung der dem Kläger auferlegten Beschränkungen auf die zulässige Reichweite des Verbots bewirkt, nicht aber dazu geführt, dass der Kläger, soweit er sich auch des Wettbewerbs insbesondere im Geschäftsbereich der Obergesellschaft enthalten hat, eine Karenzentschädigung unter Berücksichtigung der RSUs verlangen könnte.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot - Anrechnung anderweitigen Erwerbs auf die Karenzentschädigung
BAG vom 16.12.2021 - 8 AZR 498/20
Axel Groeger, ArbRB 2022, 165

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BAG PM Nr. 32 vom 25.8.2022
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