Rotkreuzschwestern können Arbeitnehmer im Sinn der Leiharbeitsrichtlinie sein
EuGH 17.11.2016, C‑216/15Ein Mitglied einer DRK-Schwesternschaft, Frau K., sollte aufgrund eines Gestellungsvertrags zwischen der DRK-Schwesternschaft und einer Klinik im Pflegedienst der Klinik eingesetzt werden. Der Betriebsrat der Klinik verweigerte jedoch seine Zustimmung zur "Einstellung" von Frau K., da ihr Einsatz nicht nur vorübergehend sei und daher gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verstoße.
Mit ihrem Antrag auf gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur "Einstellung" von Frau K. machte die Klinik geltend, dass das AÜG keine Anwendung finde. Frau K. sei weder Arbeitnehmerin noch übe die Schwesternschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. AÜG aus, da sie keine Erwerbszwecke verfolge.
Arbeitsgericht und LAG gaben dem Antrag statt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats setzte das BAG das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob auf diese Konstellation die Leiharbeitsrichtlinie Anwendung findet. Der EuGH bejahte dies im Grundsatz.
Die Gründe:
Es spricht viel dafür, dass Frau K. Arbeitnehmerin i.S.d. Leiharbeitsrichtlinie ist. Sie hat sich mit dem Vereinsbeitritt gegenüber der Schwesternschaft verpflichtet, den Vereinsbeitrag in Form der Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen, und erhält hierfür im Gegenzug von dem Verein eine monatliche Vergütung, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet. Damit erbringt sie Arbeitsleistungen und erhält als Gegenleistung eine Vergütung.
Weitere Voraussetzung des Arbeitnehmerbegriffs in der Leiharbeitsrichtlinie ist allerdings, dass Frau K. aufgrund der Arbeitsleistung in Deutschland geschützt ist. Hierfür sprechen zahlreiche Indizien, wie die Geltung der zwingenden arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen und des Sozialgesetzbuches sowie die Gewährung von Urlaub, Mutterschutz, Elternzeit und Entgeltfortzahlung. Letztlich ist es allerdings Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob diese Voraussetzung erfüllt ist. Irrelevant ist insoweit, ob die jeweilige Person nach nationalem Recht als Arbeitnehmerin anzusehen ist.
Die Schwesternschaft übt auch eine "wirtschaftliche Tätigkeit" i.S.d. Leiharbeitsrichtlinie aus. "Wirtschaftliche Tätigkeit" ist jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da die Schwesternschaft Dienstleistungen auf dem Markt für die Überlassung von Pflegepersonal bei Einrichtungen der Krankheits- und Gesundheitspflege in Deutschland anbietet, wofür sie ein Gestellungsentgelt erhält, das die Personal- und die Verwaltungskosten umfasst. Unerheblich ist insoweit, dass die Schwesternschaft keinen Erwerbszweck verfolgt.
Der Hintergrund:
Die Entscheidung dürfte einschneidende Folgen für die DRK-Schwesternschaften haben. Der Verband der Schwesternschaften (VdS) hat bereits im Hinblick auf die am 25.11.2016 anstehende Entscheidung des Bundesrats über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Initiative gestartet, um den mehr 150-jährigen Einsatz von 25.000 Rotkreuzschwestern für das Gesundheits-, Pflege- und Sozialsystem Deutschlands durch eine Ausnahmeregelung im künftigen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gesetzlich zu verankern. Details zu der Initiative finden Sie hier.
Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.