19.09.2017

Schwangere sind grds. auch vor Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung geschützt

Nach Ansicht der Generalanwältin Sharpston ist eine Massenentlassung nicht immer ein Ausnahmefall i.S.d. Mutterschaftsrichtlinie, der es erlauben würde, schwangeren Arbeitnehmerinnen zu kündigen. Eine Kündigung komme nur in Betracht, wenn es keine andere Möglichkeit gebe, die Schwangere auf einer anderen geeigneten Stelle weiter zu beschäftigen.

EuGH-Generalanwalt 14.9.2017, C-103/16
Der Sachverhalt:
Das spanische Unternehmen Bankia S.A. konsultierte Anfang Januar 2013 die Arbeitnehmervertretung zum Zweck einer Masseentlassung. Das Verhandlungsgremium legte Kriterien fest, nach denen bestimmt werden sollte, welchen Arbeitnehmern gekündigt werden sollte und welche weiterhin beschäftigt würden. Das Unternehmen kündigte aufgrund der Vereinbarung u.a. Frau Porras Guisado, der Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt schwanger war. Im Kündigungsschreiben führte es als Grund an, dass in der Provinz, in der sie arbeite, weitgreifende Personalanpassungen erforderliche seien und dass ihr Ergebnis in dem vom Unternehmen durchgeführten Bewertungsverfahren zu den niedrigsten zähle.

Die Klägerin erhob Klage gegen die Kündigung vor dem zuständigen spanischen Arbeits- und Sozialgericht, welches zugunsten des Unternehmens entschied. Dagegen legte die Klägerin ein Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof von Katalonien ein. Dieser ersuchte den EuGH um die Auslegung des Verbots der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen und insbesondere um die Frage, wie dieses Verbot im Rahmen einer Massenentlassung auszulegen sei.

Die Schlussanträge der Generalanwältin:
Eine Massenentlassung ist nicht immer ein Ausnahmefall i.S.d. Mutterschaftsrichtlinie, der es erlauben würde, schwangeren Arbeitnehmerinnen zu kündigen. Darüber hinaus darf es keine Möglichkeit geben, die Schwangere auf einer anderen geeigneten Stelle weiter zu beschäftigen.

Die Mutterschaftsrichtlinie schützt Arbeitnehmerinnen vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs, auch wenn sie ihren Arbeitgeber vielleicht noch nicht über die Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt haben. Eine Kündigung der Schwangeren kommt nur aus nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehenden Gründen in Betracht. Die Massenentlassungsrichtlinie erfasst dagegen Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen, vornimmt.

Die Generalanwältin ist der Auffassung, dass es bei Massenentlassungen tatsächlich Fälle geben kann, die als Ausnahme zu betrachten sind und in denen einer Schwangeren gekündigt werden darf. Grundsätzlich ist aber nicht jede Massenentlassung ein Ausnahmefall i.S.d. der Mutterschaftsrichtlinie. Es ist einzelfallabhängig, ob die Massenentlassung als Ausnahmefall einzustufen ist und eine Ausnahme vom Verbot der Kündigung zur Anwendung kommt. Es reicht dafür nicht aus, Gründe geltend zu machen, die sich im Falle einer Massenentlassung auf den Arbeitsplatz der Schwangeren  auswirken. Zudem darf es keine andere Möglichkeit geben, die Schwangere auf einer anderen geeigneten Stelle weiter einzusetzen. Es muss also eine andere Stelle frei sein oder eine freie Stelle geschaffen werden können. Dagegen verlangt die Mutterschaftsrichtlinie keinen Vorrang für den Verbleib im Unternehmen.

Darüber hinaus verlangt die Mutterschaftsrichtlinie, Schwangere sowohl präventiv vor der Kündigung selbst als auch vor den Auswirkungen einer erfolgten verbotenen Kündigung zu schützen. Es reicht also nicht aus, wenn die nationale Regelung, die rechtswidrige Kündigung als unwirksam ansieht, da dies nur nachträglichen Schutz der Wiedergutmachung gewährt. Ebenso ist die Generalanwältin der Auffassung, dass eine Kündigung nur dann der Mutterschaftsrichtlinie genügt, wenn sie schriftlich ergeht und dabei nachgewiesene Gründe anführt, die den Ausnahmefall begründen und eine Kündigung erlauben. Ein Kündigungsschreiben, welches nur die allgemeinen Gründe für den Personalabbau und die Auswahlkriterien mitteilt, aber nicht erklärt, warum die Kündigung einer Schwangeren ausnahmsweise erlaubt ist, genügt demnach diesen Anforderungen nicht.

Linkhinweis:
Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Schlussanträge im Volltext klicken Sie bitte hier.

EuGH, Pressemitteilung Nr. 99/17 vom 14.9.2017
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