Schweres Übergewicht als solches stellt keine Behinderung i.S.d. Diskriminierungsrechts dar
LAG Niedersachsen 29.11.2016, 10 Sa 216/16Der Kläger ist schwer übergewichtig. Er weist einen Body-Mass-Index (BMI) von über 40 auf, was einer schweren Adipositas (Grad III - "Adipositas permagna") entspricht. Die beklagte Arbeitgeberin des öffentlichen Dienstes hatte ihn im März 2014 befristet für zwei Jahre als Kraftfahrer eingestellt, nachdem die Einstellungsuntersuchung ergeben hatte, dass der Kläger trotz des starken Übergewichts unter keinen größeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet.
Eine zweite Untersuchung im September 2015 bestätigte den ersten Befund. Zudem attestierte der Vorgesetzte des Klägers diesem gute Leistungen. Er bat deshalb die Beklagte, den Kläger weiterzubeschäftigen. Diesem wurde dennoch im Rahmen eines Personalgesprächs mitgeteilt, dass sein Vertrag nicht verlängert werde. Die Ärztin, die die vertrauensärztliche Untersuchung durchgeführt habe, habe auf Anfrage bestätigt, dass bei diesem starken Übergewicht mittelfristig mit einer Gesundheitsgefährdung zu rechnen sei.
Mit seiner Klage machte der Kläger die Unwirksamkeit der Befristungsabrede geltend. Die Beklagte habe ihn wegen seines Übergewichts und damit wegen einer Behinderung benachteiligt. Seine Klage hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG keinen Erfolg. Das LAG ließ allerdings wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zum BAG zu.
Die Gründe:
Die Befristungsabrede ist nicht wegen § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Beklagte hat den Kläger nicht wegen einer Behinderung benachteiligt.
Eine Behinderung i.S.v. § 1 AGG oder der Richtlinie 2000/78 setzt eine Einschränkung voraus, die u.a. auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern kann (EuGH, Urt. v. 18.12.2014 - Rs. C-354/13, ArbRB 2015, 35 [Marquardt/Dorn]). Das ist bei Adipositas nicht zwangsläufig der Fall, sondern nur, wenn sie unter bestimmten Umständen eine Einschränkung gemäß der vorgenannten Definition mit sich bringt und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist.
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch seine Adipositas an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, gehindert wäre, und zwar aufgrund eingeschränkter Mobilität oder dem Auftreten von Krankheitsbildern, die ihn an der Verrichtung seiner Arbeit hindern oder zu einer Beeinträchtigung der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit führen. Wie der Kläger selbst vorträgt, bestehen bei ihm - auch ausweislich der beiden ärztlichen Untersuchungen - abgesehen von der Adipositas selbst keine gesundheitlichen Einschränkungen. Die vertraglich geschuldete Tätigkeit war ihm ohne weiteres möglich; ihm wurden sogar gute Leistungen bescheinigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger vorträgt, eine Adipositas des bei ihm gegebenen Ausmaßes sei stets mit Einschränkungen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens verbunden. Dies entspricht nicht der zitierten Rechtsprechung, die vielmehr eine gesonderte Prüfung verlangt, ob im konkreten Fall eine eingeschränkte Mobilität oder das Auftreten von Krankheitsbildern zu verzeichnen sind. Hierzu hat der Kläger jedoch nichts vorgetragen.
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