17.09.2013

Sonntagsarbeit in Callcentern und weiteren Branchen ist unzulässig

Einige Bestimmungen der hessischen Bedarfsgewerbeverordnung, die die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen erlauben, sind unwirksam. Das gilt insbesondere für die in der Verordnung geregelte Zulässigkeit von Sonntagsarbeit in Callcentern (z.B. im Versandhandel oder beim Online-Banking). Es fehlt insoweit an einer hinreichend konkreten Ermächtigungsgrundlage im Arbeitszeitgesetz.

Hessischer VGH 12.9.2013, 8 C 1776/12.N
Der Sachverhalt:
Die Gewerkschaft ver.di und zwei südhessische Dekanate der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau machten mit ihren Normenkontrollanträgen die Unwirksamkeit einiger Bestimmungen der Verordnung der hessischen Landesregierung über die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen (Bedarfsgewerbeverordnung) geltend. Sie wandten sich insbesondere dagegen, dass hiernach Sonn- und Feiertagsarbeit in folgenden Branchen zulässig ist:
  • in Callcentern ganzjährig für jeweils bis zu acht Stunden,
  • in Brauereien und anderen Betrieben der Getränkewirtschaft sowie in Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis im Sommer für jeweils bis zu acht Stunden,
  • in Videotheken und Bibliotheken in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft ganzjährig ab 13 Uhr für jeweils bis zu sechs Stunden,
  • in Lotto- und Totogesellschaften mit der elektronischen Geschäftsabwicklung ganzjährig für bis zu acht Stunden und
  • im Buchmachergewerbe zur Annahme von Wetten für bis zu sechs Stunden.

Der VGH erklärte all diese Ausnahmen vom Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen für unwirksam. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließ er allerdings die Revision zum BVerwG zu.

Die Gründe:
Die in der Bedarfsgewerbeverordnung vorgesehenen Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit für die o.g. Branchen sind unwirksam.

Es fehlt eine ausreichende Verordnungsermächtigung durch den zuständigen Bundesgesetzgeber im Arbeitszeitgesetz. Dieses enthält zwar eine gestaffelte Verordnungsermächtigung für Ausnahmeregelungen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG muss der Gesetzgeber bei Eingriffen in Grundrechte aber alle wesentlichen Grundentscheidungen selbst treffen und darf dies nicht der Exekutive überlassen.

Das im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes Hessen verankerte Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe dient nicht nur dem Schutz des Grundrechts auf Religionsfreiheit, sondern auch der Gewährleistung anderer Grundrechte wie etwa der Koalitionsfreiheit, auf die sich die Gewerkschaften berufen können.

Nach diesen Grundsätzen gilt hier Folgendes:

  • Lediglich der Gesetzgeber kann regeln, dass in Callcentern sowie Brauereien (bzw. anderen Betrieben der Getränkewirtschaft) auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden darf.
  • Die Ausnahmeregelungen für Videotheken und Bibliotheken sowie für Lotto- und Totogesellschaften stellen dagegen wegen ihrer geringen Auswirkungen keine dem Gesetzgeber vorbehaltenen Grundentscheidungen dar, so dass hier eine Regelung durch Rechtverordnung verfassungsrechtlich zulässig war. Die Verordnungsermächtigung setzt aber voraus, dass die Ausnahme von der Sonn- und Feiertagsruhe "zur Vermeidung erheblicher Schäden" erforderlich ist. Dies ist weder bei Videotheken bzw. Büchereien noch bei Toto- und Lottogesellschaften der Fall.
  • Die Ausnahmeregelung für das Buchmachergewerbe ist unwirksam, weil nicht hinreichend bestimmt normiert ist, für welche Art von Veranstaltungen die Ausnahmeregelung gelten soll.
Hessischer VGH PM Nr. 28/2013 vom 12.9.2013
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