Stundenlohn von 3,40 Euro ist sittenwidrig
LAG Berlin-Brandenburg 20.4.2016, 15 Sa 2258/15Die Arbeitnehmerin A. war seit 2001 für die beklagte Pizzeria aus dem östlichen Brandenburg als Auslieferungsfahrerin tätig. Vereinbart war eine bedarfsabhängige Arbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden im Monat. Hierfür erhielt A. eine Vergütung von 136 Euro pro Monat, was einem Stundenlohn von 3,40 Euro entspricht.
Das klagende Jobcenter zahlte A. von 2011 bis 2014 Leistungen zur Grundsicherung. Es war der Auffassung, dass die Vergütung sittenwidrig niedrig sei. Bei Zahlung der üblichen Vergütung wären geringere Leistungen an Grundsicherung angefallen, weshalb die Beklagte diese Differenz zu erstatten habe.
Das LAG gab der Klage i.H.v. 5.744,18 Euro statt.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen der geleisteten und der in der Region für die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers üblichen Vergütung.
Der tatsächlich gezahlte Stundenlohn von 3,40 Euro stellt einen "Hungerlohn" dar. Selbst bei unterstellter Vollzeittätigkeit könnte die Arbeitnehmerin von dem Einkommen ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Die Vereinbarung eines solchen "Hungerlohns" ist sittenwidrig und damit gem. § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.
An die Stelle der unwirksamen Vergütungsvereinbarung tritt ein Anspruch auf die übliche Vergütung. Diese ergibt sich hier aus den Feststellungen des statistischen Landesamtes. Danach ist der Kläger für das Jahr 2011 zutreffend von einem Stundenlohn von 6,77 Euro ausgegangen, der sich bis zum Jahr 2014 auf 9,74 Euro gesteigert hat. Ob sich eine Sittenwidrigkeit daneben auch aus Wertungen der Europäischen Sozialcharta ergeben kann, konnte hier dahinstehen.
Der Hintergrund:
Derartige Fälle extremer Unterbezahlung dürften der Vergangenheit angehören, da seit dem 1.1.2015 ein gesetzlicher Mindestlohn gilt. Aktuell beläuft sich der Mindeststundenlohn gem. § 1 Abs. 2 MiLoG auf 8,50 Euro brutto pro Stunde.