16.05.2022

Unzulässige Differenzierung im Stundenlohn

Die Differenzierung im Stundenlohn (17 € / 12 €) zwischen "hauptamtlichen" (Voll- und Teil-zeit) und "nebenamtlichen" Beschäftigten (geringfügige Beschäftigung) im Rettungsdienst ist nicht sachlich gerechtfertigt. Die Tatsache, dass die "hauptamtlich" Beschäftigten von der Arbeitgeberin in den Dienstplan eingeteilt werden und die "nebenamtlich" Beschäftigten mitteilen, welche angebotenen Dienst sie übernehmen bzw. wann sie Zeit haben, rechtfertigt die unterschiedliche Bezahlung nicht.

LAG München v. 19.1.2022, 10 Sa 582/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist seit April 2015 bei der Beklagten als Rettungsassistent im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses tätig. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen, das im Auftrag des Rettungszweckverbandes Notfallrettung betreibt sowie Krankentransporte durchführt und sonstige sanitätsdienstliche Leistungen erbringt. Sie zahlt an den Kläger einen Stundenlohn von 12 € brutto. § 3 des Arbeitsvertrages enthält folgende Regelung:

"§ 3 Arbeitszeit, Arbeitsort
Von beiden Vertragsparteien ist ein möglichst regelmäßiger Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers gewünscht.
Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 16 Stunden pro Monat. darüber hinaus kann der Arbeitnehmer im gesetzlichen Rahmen der geringfügigen Beschäftigung weitere Stunden ableisten. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich aktiv um Schichten zu kümmern."


Die Beklagte teilt den Kläger nicht zu Diensten ein, der Kläger erhält vielmehr einerseits u.a. über WhatsApp Anfragen bezüglich zu besetzender Dienste, die nicht angenommen werden müssen und kann andererseits Wunschtermine für Einsätze selbst benennen. Im Betrieb werden zudem Rettungsassistenten in Vollzeit und Teilzeit beschäftigt, deren Stundenlohn bei mehr als 17 € brutto liegt. Der Kläger forderte die Beklagte deshalb am 15.5.2020 unter Berufung auf das TzBfG auf, rückwirkend zum 1.1.2020 den Bruttostundenlohn auf 17 € zu erhöhen, was von der Beklagten unter Verweis auf eine Gleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Minijobber zurückgewiesen wurde.

Der Kläger war der Ansicht, dass er bei gleicher Arbeit aufgrund seiner geringfügigen Beschäftigung nicht so wie ein Vollzeitbeschäftigter behandelt und vergütet werde, was gegen § 4 TzBfG verstoße. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LAG die Entscheidung aufgehoben und der Klage stattgegeben. Allerdings wurde die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BAG unter dem Az.: 5 AZR 108/22 anhängig.

Die Gründe:
Der Kläger hat Anspruch auf Bezahlung eines Stundenlohns von 17 € brutto und damit auf die eingeklagte Differenzvergütung.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergibt sich als übliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) entsprechend den Regeln, die die Beklagte für ihre vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer anwendet. Die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien über die niedrigere Stundenvergütung ist wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG nach § 134 BGB nichtig. Die Praxis der Beklagten, teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die von der Beklagten zur Arbeitsleistung eingeteilt werden, einen Stundenlohn von 17 € zu zahlen, während den von der Beklagten nicht zur Arbeitsleistung eingeteilten Arbeitnehmern wie dem Kläger nur ein Stundenlohn von 12 € gezahlt wird, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG.

Das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG betrifft nach dem Wortlaut dieser Bestimmung das Verhältnis von teilzeit- zu vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. Das Verbot gilt allerdings auch dann, wenn teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer untereinander unterschiedlich behandelt werden, sofern eine Gruppe der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt und die andere Gruppe der Teilzeitbeschäftigten von einzelnen Leistungen ausgeschlossen wird. Die unterschiedliche Behandlung einer Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gegenüber den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern entfällt nicht, weil der Arbeitgeber eine bestimmte Gruppe Teilzeitbeschäftigter nicht benachteiligt. Verglichen werden damit nicht die unterschiedlichen Gruppen Teilzeitbeschäftigter, sondern eine bestimmte Personengruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer mit Vollzeitbeschäftigten.

Daran gemessen liegt hier eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit vor. Zwar differenziert die Beklagte hinsichtlich der Höhe des von ihr gezahlten Stundenlohnes nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten. Sie differenziert vielmehr zwischen einer Beschäftigungsgruppe, die sie als "hauptamtlich" und einer Beschäftigungsgruppe, die sie als "nebenamtlich" bezeichnet. Die "hauptamtlich" Beschäftigten, die entweder in Vollzeit oder in Teilzeit tätig sind, werden von der Beklagten in ihre Dienstpläne eingeteilt. Die "nebenamtlich" Beschäftigten, i.d.R. geringfügig Beschäftigte, teilen sich selbst ein. Dass es bei der Beklagten auch Vollzeitbeschäftigte gibt, die nicht von der Beklagten in die Dienstpläne eingeteilt werden, behauptet auch die Beklagte nicht.

Die Beklagte vergütet somit die Arbeitnehmergruppe der "nebenamtlich" Teilzeitbeschäftigten anders als die Arbeitnehmergruppe der Vollzeitbeschäftigten. Somit liegt eine unterschiedliche Behandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten vor, der den Anwendungsbereich von § 4 Abs. 1 TzBfG eröffnet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte hinsichtlich des unterschiedlichen Stundenlohns nicht direkt an das Kriterium der Arbeitszeit anknüpft. Es liegt jedenfalls eine mittelbare Anknüpfung vor, da die Praxis der "Nichteinteilung" lediglich bei den "nebenamtlich" Teilzeitbeschäftigten d. h. bei geringfügig Beschäftigten angewandt wird. Diese Ungleichbehandlung ist nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

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