17.07.2023

Unzulässigkeit der Befristung mit dem Sachgrund der Vertretung

Weiß ein Arbeitgeber, dass ein befristet eingestellter Arbeitnehmer während der gesamten Vertragsdauer arbeitsunfähig sein wird, kann er die Befristung nicht mit dem Sachgrund der Vertretung rechtfertigen.

LAG Niedersachsen v. 11.5.2023 - 5 Sa 27/23
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer mit Sachgrund erfolgten Befristung des Arbeitsverhältnisses als Paketzusteller und um vorläufige Weiterbeschäftigung.

Der Kläger war seit dem 23.4.2022 über den Mai 2022 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Am 23.4.2022 kontaktierte er seinen Niederlassungsleiter per WhatsApp. Er teilte mit, dass er mit einem Paket gestürzt sei, sein Bauch immer dicker geworden sei, er ins Krankenhaus gebracht und ihm schwindlig gewesen sei. Ferner teilte er mit, einen Nabelbruch zu haben und die Auskunft erhalten zu haben, dass er vielleicht noch heute operiert werde.

Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dokumentiert. Die Erstbescheinigung vom 25.4.2022 wies den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 23.4.2022 bis zum 8.5.2022 aus, unter dem üblichen Hinweis "voraussichtlich arbeitsunfähig".

Der streitgegenständlich neue Vertrag vom 27.4.2022 sah die Tätigkeit des Klägers als Paketzusteller vom 1.5.2022 bis 28.5.2022 (befristet) vor, in welchem als Sachgrund "Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit der Mitarbeiter S., L., M. und H." genannt ist. Der Kläger sollte diese Mitarbeiter während deren Urlaub vertreten.

Mit seiner auf Entfristung seines Arbeitsverhältnisses gerichteten Klage hat der Kläger geltend gemacht, es habe von vornerein festgestanden, dass er die genannten Mitarbeiter nicht habe vertreten können.

Das ArbG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers vor dem LAG hatte Erfolg. Das LAG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Die Gründe:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht aufgrund der Befristung des streitgegenständlichen Vertrages vom 27.4.2022 zum 28.5.2022 beendet worden. Der Beklagten steht kein Sachgrund für diese Befristung zur Seite; eine sachgrundlose Befristung gem. § 14 Abs. 2 TzBfG kommt aufgrund der bereits zum fünften Mal erfolgten Befristung durch den streitgegenständlichen Vertrag nicht mehr in Betracht.

Zu Gunsten der Beklagten ist auch der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG, der einzig in Betracht kommt, nicht einschlägig. Nach dieser Norm liegt ein sachlicher Grund, der eine Befristung rechtfertigt insbesondere vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird.

Ein Arbeitgeber, der sicher weiß, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer aufgrund Erkrankung oder sonstiger Umstände keinen einzigen Tag die vertraglich vorgesehene Vertretungsaufgabe wahrnehmen kann, kann sich auf diesen Sachgrund aber nicht berufen.

Es muss sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs einstellt worden ist (vgl. BAG v. 6.11.2013 - 7 AZR 96/12). Diese Kausalität besteht gerade dann nicht, wenn der Arbeitgeber bei Vertragsabschluss weiß, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht arbeiten kann. Dann ist der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages völlig sinnlos, weil der Zweck, den der Sachgrund der Vertretung verfolgt, nämlich die Aufgabenwahrnehmung des vertretenen Arbeitnehmers durch den befristetet eingestellten Vertreter, nicht einmal ansatzweise erfüllt werden kann.

Aufgrund besonderer befristungsrechtlicher Vorschriften ist in einem derartigen Streitfall die Befristung rechtsunwirksam, ohne dass es auf die allgemeine juristische Dogmatik des BGB ankommt. Die Besonderheiten des Befristungsrechts sind aufgrund der Spezialvorschriften des TzBfG vorrangig.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Befristeter Einsatz als Vertretungskraft - Kausalzusammenhang zwischen Ausfall des Vertretenen und befristeter Einstellung der Vertretungskraft
LAG Hamm vom 23.2.2023 - 11 SA 794/22

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