Urlaubs- und Freizeitansprüche "in natura" gewährt: Formulierung kann Vergleichsmehrwert auslösen
LAG Berlin-Brandenburg v. 28.8.2020 - 26 Ta (Kost) 6067/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung vom 25.10.2019 zum 31.12.2019. Mit Beschluss vom 8.6.2020 stellte das ArbG einen Vergleich fest, in dem sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.12.2020 geeinigt haben sowie unter Nr. 2) auf die Zahlung einer Abfindung i.H.v. 8.300 €. Nr. 3 des Vergleichs haben die Parteien wie folgt formuliert: "Die Parteien stimmen darin überein, dass bestehender Resturlaub als auch etwaig geleistete Überstunden in natura genommen wurden und abgegolten sind." Unter Nr. 4 des Vergleichs einigten sich die Parteien zudem auf ein gutes Zeugnis.
Das ArbG setzte den Gesamtgegenstandswert bisher nicht fest. Es sah aber für den Antrag zu 1) (Kündigungsschutzantrag) rd. 5.400 € und für den Weiterbeschäftigungsantrag sowie das Zeugnis jeweils ein Bruttoeinkommen vor. Im Hinblick auf das im Vergleich geregelte Zeugnis brachte es ebenfalls ein Bruttoeinkommen in Ansatz. Eine Berücksichtigung der "Urlaub-in-natura-abgegolten"-Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs lehnte es bei der Berechnung des Vergleichsmehrwerts ab.
Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten begehren mit der Beschwerde eine Erhöhung des Vergleichsmehrwerts um einen Betrag i.H.v. rd. 2.150 €, den die Beklagte unstreitig an sich noch als Urlaubsabgeltung an die Klägerin für 26 Urlaubstage zu zahlen gehabt hätte.
Das ArbG half der Beschwerde nicht ab, da der Anspruch weder streitig noch ungewiss gewesen sei. Die Beschwerde hatte auch vor dem LAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das ArbG hat die Berücksichtigung der Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs mit Recht abgelehnt. Die sog. "Urlaub-in-natura-abgegolten"-Regelung führt hier nicht zu einem höheren Vergleichsmehrwert.
Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten.
Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren.
Danach ist die unter Nr. 3 des Vergleichs getroffene Regelung hier nicht geeignet, im Rahmen des Vergleichsmehrwerts Berücksichtigung zu finden. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass die Formulierung, wonach Urlaubs- und Freizeitansprüche "in natura gewährt" worden sind, einen Vergleichsmehrwert auslöst. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn mit Ausspruch der Kündigung eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub erfolgt ist und dann im Rahmen des Verfahrens Streit unter den Parteien bestanden hat, ob eine solche Freistellung wirksam erfolgen konnte. Das kann es rechtfertigen, den auf den Urlaubszeitraum entfallenden Betrag bei der Wertberechnung anzusetzen. In einer solchen Konstellation geht es um die Frage, ob das Urlaubsentgelt mit der Vergütung bereits abgegolten war oder nicht.
Besteht hingegen unter den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs Einigkeit, dass und in welchem Umfang Urlaubsansprüche bestanden haben, gab es also insoweit weder Streit noch Ungewissheit, stellt die getroffene Vereinbarung über die Erfüllung der Urlaubsansprüche während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses regelmäßig lediglich einen Teil der Gegenleistung der Partei - hier der Klägerin - für die im Rahmen des Vergleichs zu ihren Gunsten getroffenen Regelungen dar.
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung vom 25.10.2019 zum 31.12.2019. Mit Beschluss vom 8.6.2020 stellte das ArbG einen Vergleich fest, in dem sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.12.2020 geeinigt haben sowie unter Nr. 2) auf die Zahlung einer Abfindung i.H.v. 8.300 €. Nr. 3 des Vergleichs haben die Parteien wie folgt formuliert: "Die Parteien stimmen darin überein, dass bestehender Resturlaub als auch etwaig geleistete Überstunden in natura genommen wurden und abgegolten sind." Unter Nr. 4 des Vergleichs einigten sich die Parteien zudem auf ein gutes Zeugnis.
Das ArbG setzte den Gesamtgegenstandswert bisher nicht fest. Es sah aber für den Antrag zu 1) (Kündigungsschutzantrag) rd. 5.400 € und für den Weiterbeschäftigungsantrag sowie das Zeugnis jeweils ein Bruttoeinkommen vor. Im Hinblick auf das im Vergleich geregelte Zeugnis brachte es ebenfalls ein Bruttoeinkommen in Ansatz. Eine Berücksichtigung der "Urlaub-in-natura-abgegolten"-Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs lehnte es bei der Berechnung des Vergleichsmehrwerts ab.
Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten begehren mit der Beschwerde eine Erhöhung des Vergleichsmehrwerts um einen Betrag i.H.v. rd. 2.150 €, den die Beklagte unstreitig an sich noch als Urlaubsabgeltung an die Klägerin für 26 Urlaubstage zu zahlen gehabt hätte.
Das ArbG half der Beschwerde nicht ab, da der Anspruch weder streitig noch ungewiss gewesen sei. Die Beschwerde hatte auch vor dem LAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das ArbG hat die Berücksichtigung der Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs mit Recht abgelehnt. Die sog. "Urlaub-in-natura-abgegolten"-Regelung führt hier nicht zu einem höheren Vergleichsmehrwert.
Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten.
Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren.
Danach ist die unter Nr. 3 des Vergleichs getroffene Regelung hier nicht geeignet, im Rahmen des Vergleichsmehrwerts Berücksichtigung zu finden. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass die Formulierung, wonach Urlaubs- und Freizeitansprüche "in natura gewährt" worden sind, einen Vergleichsmehrwert auslöst. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn mit Ausspruch der Kündigung eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub erfolgt ist und dann im Rahmen des Verfahrens Streit unter den Parteien bestanden hat, ob eine solche Freistellung wirksam erfolgen konnte. Das kann es rechtfertigen, den auf den Urlaubszeitraum entfallenden Betrag bei der Wertberechnung anzusetzen. In einer solchen Konstellation geht es um die Frage, ob das Urlaubsentgelt mit der Vergütung bereits abgegolten war oder nicht.
Besteht hingegen unter den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs Einigkeit, dass und in welchem Umfang Urlaubsansprüche bestanden haben, gab es also insoweit weder Streit noch Ungewissheit, stellt die getroffene Vereinbarung über die Erfüllung der Urlaubsansprüche während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses regelmäßig lediglich einen Teil der Gegenleistung der Partei - hier der Klägerin - für die im Rahmen des Vergleichs zu ihren Gunsten getroffenen Regelungen dar.