Verjährung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub
EuGH, C-120/21 LB: Schlussanträge des Generalanwalts vom 5.5.2022
Der Sachverhalt:
In seinen Urteilen vom 6.11.2018, C-619/16 und C-684/16 (Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften), hatte der EuGH entschieden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu anhalten muss, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrzunehmen, und dass er den Arbeitnehmer über das mögliche Erlöschen des Urlaubsanspruchs informieren muss. Kommt der Arbeitgeber diesen Obliegenheiten nicht nach, ist das Erlöschen des Urlaubsanspruchs am Ende des Bezugszeitraums oder eines im nationalen Recht vorgesehenen Übertragungszeitraums ausgeschlossen.
Im vorliegenden Fall ersucht das deutsche Bundesarbeitsgericht (BAG) den EuGH um Klärung, ob die Anwendung nationaler Verjährungsbestimmungen auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn der Arbeitgeber diesen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist.
Das BAG hat einen Rechtsstreit über die Abgeltung bezahlten Jahresurlaubs zu entscheiden, in dem sich der (ehemalige) Arbeitgeber auf die Verjährung (nach drei Jahren gemäß § 195 BGB) des von der (ehemaligen) Arbeitnehmerin geltend gemachten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub berufen hat.
Generalanwalt Jean Richard de la Tour vertritt in seinen Schlussanträgen von heute die Ansicht, dass die Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Art. 7) und die EU-Grundrechte-Charta (Art. 31 Abs. 2) dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in Bezug auf die Urlaubsnahme durch den Arbeitnehmer nicht nachgekommen ist, der für einen Bezugszeitraum erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sowie der damit korrelierende Anspruch auf finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt, deren Lauf mit Ende dieses Bezugszeitraums beginnt.
Die Gründe:
Weder die im deutschen Recht vorgesehene Verjährungsfrist noch ihre Länge als solche ist im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz problematisch, sondern der Beginn des Laufs der Frist: Für diesen muss auf den Ablauf des Jahres abgestellt werden, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist, denn zu diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer von seinem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub i.S.v. § 199 Abs. 1 BGB "Kenntnis erlangt" hat. Daraus ergibt sich, dass die im Verfahren vor dem BAG in Rede stehende Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen kann, solange der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen ist. So verstanden könnte das deutsche Recht unionsrechtskonform ausgelegt werden.
Die Grundsätze, die der EuGH in seinen Urteilen Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften für das Erlöschen des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entwickelt hat, sind auf die Verjährung dieses Anspruchs übertragbar. Um zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer im Interesse eines wirksamen Schutzes seiner Sicherheit und seiner Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen kann, ist daher bei jeder Umsetzung nationaler Vorschriften, die zum Erlöschen des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führen, einschließlich der Anspruchsverjährung, vorab zu überprüfen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen.
Jede andere Auslegung hätte zur Folge, dass ein Mitgliedstaat den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, der nicht in die Lage versetzt wurde, ihn wahrzunehmen, erneut zeitlich begrenzen könnte - diesmal allerdings über allgemeine Verjährungsvorschriften. Dies würde den Ausführungen des EuGH in den Urteilen Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften zuwiderlaufen.
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EuGH PM vom 5.5.2022
In seinen Urteilen vom 6.11.2018, C-619/16 und C-684/16 (Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften), hatte der EuGH entschieden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu anhalten muss, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrzunehmen, und dass er den Arbeitnehmer über das mögliche Erlöschen des Urlaubsanspruchs informieren muss. Kommt der Arbeitgeber diesen Obliegenheiten nicht nach, ist das Erlöschen des Urlaubsanspruchs am Ende des Bezugszeitraums oder eines im nationalen Recht vorgesehenen Übertragungszeitraums ausgeschlossen.
Im vorliegenden Fall ersucht das deutsche Bundesarbeitsgericht (BAG) den EuGH um Klärung, ob die Anwendung nationaler Verjährungsbestimmungen auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn der Arbeitgeber diesen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist.
Das BAG hat einen Rechtsstreit über die Abgeltung bezahlten Jahresurlaubs zu entscheiden, in dem sich der (ehemalige) Arbeitgeber auf die Verjährung (nach drei Jahren gemäß § 195 BGB) des von der (ehemaligen) Arbeitnehmerin geltend gemachten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub berufen hat.
Generalanwalt Jean Richard de la Tour vertritt in seinen Schlussanträgen von heute die Ansicht, dass die Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Art. 7) und die EU-Grundrechte-Charta (Art. 31 Abs. 2) dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in Bezug auf die Urlaubsnahme durch den Arbeitnehmer nicht nachgekommen ist, der für einen Bezugszeitraum erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sowie der damit korrelierende Anspruch auf finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt, deren Lauf mit Ende dieses Bezugszeitraums beginnt.
Die Gründe:
Weder die im deutschen Recht vorgesehene Verjährungsfrist noch ihre Länge als solche ist im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz problematisch, sondern der Beginn des Laufs der Frist: Für diesen muss auf den Ablauf des Jahres abgestellt werden, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist, denn zu diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer von seinem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub i.S.v. § 199 Abs. 1 BGB "Kenntnis erlangt" hat. Daraus ergibt sich, dass die im Verfahren vor dem BAG in Rede stehende Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen kann, solange der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen ist. So verstanden könnte das deutsche Recht unionsrechtskonform ausgelegt werden.
Die Grundsätze, die der EuGH in seinen Urteilen Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften für das Erlöschen des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entwickelt hat, sind auf die Verjährung dieses Anspruchs übertragbar. Um zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer im Interesse eines wirksamen Schutzes seiner Sicherheit und seiner Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen kann, ist daher bei jeder Umsetzung nationaler Vorschriften, die zum Erlöschen des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führen, einschließlich der Anspruchsverjährung, vorab zu überprüfen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen.
Jede andere Auslegung hätte zur Folge, dass ein Mitgliedstaat den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, der nicht in die Lage versetzt wurde, ihn wahrzunehmen, erneut zeitlich begrenzen könnte - diesmal allerdings über allgemeine Verjährungsvorschriften. Dies würde den Ausführungen des EuGH in den Urteilen Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften zuwiderlaufen.
- AUFSATZ: Verjährung des Urlaubsanspruchs - Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers und europarechtskonforme Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes, Benedikt N. Fink, ZFA 2022, 261
- RECHTSPRECHUNG: Berücksichtigung von Urlaubszeiten bei Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen, EuGH vom 13.01.2022 - C-514/20, Michael Fuhlrott, EWiR 2022, 155
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