31.07.2024

Wann hat eine Fluggesellschaft einen Betrieb im Inland i.S.d. KSchG?

Ein Luftverkehrsbetrieb i.S.v. § 24 Abs. 2 KSchG bedarf keiner im Inland ansässigen Leitung oder weitergehenden Organisationsstruktur. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den betrieblichen Geltungsbereich des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes auf die Arbeitsverhältnisse der Besatzung von Luftfahrzeugen (§ 24 Abs. 1 KSchG) sind nach § 24 Abs. 2 KSchG die Luftfahrzeuge und damit sächliche Betriebsmittel des Luftfahrtunternehmens. Diese müssen an inländischen Flughäfen stationiert sein, weil nur so das Erfordernis eines Inlandsbezugs erfüllt wird.

BAG v. 29.5.2024 - 2 AZR 325/22
Der Sachverhalt:
Das BAG hatte im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens Gelegenheit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wann eine Fluggesellschaft einen Betrieb im Inland i.S.d. KSchG unterhält. Die beklagte Gesellschaft hatte eingewendet, ein Luftverkehrsbetrieb i.S.d. § 24 Abs. 2 KSchG setze wie ein Betrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG das Vorhandensein einer organisatorischen Einheit von Arbeitsmitteln voraus. An den deutschen Flughäfen Stuttgart und Düsseldorf seien aber keine Flugzeuge "stationiert" gewesen. Ihre Flugzeuge seien nicht in Deutschland registriert gewesen. Auch seien einzelne Flugzeuge keinem deutschen Flughafen dauerhaft zugeordnet gewesen, sondern flögen rotierend von unterschiedlichen Flughäfen.

Das BAG bejahte in seinem Urteil jedoch einen Luftverkehrsbetrieb i.S.v. § 24 Abs. 2 KSchG im Inland. Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sei damit eröffnet.

Die Gründe:
Der für die Geltung ua. des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes maßgebliche Luftverkehrsbetrieb i.S.d. § 24 Abs. 2 KSchG wird aus der Gesamtheit der im Inland stationierten Luftfahrzeuge eines Luftverkehrsunternehmens gebildet; einer im Inland ansässigen Leitung oder einer weitergehenden Organisationsstruktur bedarf es hingegen nicht (vgl. BAG 1.6.2023 - 2 AZR 150/22). Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den betrieblichen Geltungsbereich des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes auf die Arbeitsverhältnisse der Besatzung von Luftfahrzeugen (§ 24 Abs. 1 KSchG) sind nach § 24 Abs. 2 KSchG die Luftfahrzeuge und damit sächliche Betriebsmittel des Luftfahrtunternehmens. Diese müssen an inländischen Flughäfen stationiert sein, weil nur so das Erfordernis eines Inlandsbezugs erfüllt wird.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - anders als in den zahlreichen bereits entschiedenen Verfahren - geltend gemacht, an den Flughäfen Stuttgart und Düsseldorf seien keine Luftfahrzeuge "stationiert" gewesen, sondern nur von ihr beschäftigtes Personal. Ihre Flugzeuge seien ausnahmslos weder in Deutschland registriert noch seien einzelne konkrete Flugzeuge einem inländischen Flughafen dauerhaft zugeordnet gewesen. Vielmehr würden sie rotierend von unterschiedlichen Flughäfen aus eingesetzt. Bei diesen Ausführungen handelt es sich um neues Tatsachenvorbringen, das im Revisionsverfahren nach § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich unberücksichtigt bleibt. Überdies geht die Beklagte selbst in ihrer Revisionsbegründung in Bezug auf den Standort Stuttgart von einer dortigen "Stationierung" ihrer Luftfahrzeuge aus.

Die Beklagte verkennt, dass eine "Stationierung" von Luftfahrzeugen im Inland bereits dann vorliegt, wenn eine bestimmte Anzahl von Flugzeugen mit der Besatzung ("Flugzeugkontingent") einem bestimmten inländischen Flughafen fest zugeordnet ist (vgl. BAG 1.6.2023 - 2 AZR 150/22). Diese Kriterien hat die Beklagte im Inland an den Flughäfen Stuttgart und Düsseldorf erfüllt. Ohne Bedeutung ist es, ob ein konkretes Luftfahrzeug einem Flughafen zugeordnet ist, wie es auch bei einem Landbetrieb hinsichtlich der sächlichen Betriebsmittel - etwa bei einem Kraftfahrbetrieb - nicht auf ein individualisiertes Fahrzeug ankäme, um den sachlichen Geltungsbereich des Betriebs zu bestimmen.

Für das Bestehen eines Luftverkehrsbetriebs i.S.d. § 24 Abs. 2 KSchG ist es nicht erforderlich, dass die Luftfahrzeuge eine inländische Registrierung aufweisen. Auf die verwaltungsmäßige Zuordnung der Flugzeuge kommt es für das Vorliegen eines Luftverkehrsbetriebs nicht an.

Zur Bestimmung des betrieblichen Geltungsbereichs des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes kann nicht ausschließlich auf das Vertragsstatut des fliegenden Personals abgestellt werden.

Zu Unrecht meint die Beklagte, ein Luftverkehrsbetrieb i.S.d. § 24 Abs. 2 KSchG setze wie ein Betrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG das Vorhandensein einer organisatorischen Einheit von Arbeitsmitteln voraus, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt. Diese Auffassung verkennt, dass der Gesetzgeber sich mit der Fiktion des § 24 Abs. 2 KSchG am Normzweck des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes orientiert und den Besonderheiten der Luftfahrt Rechnung getragen hat.

Schließlich dient § 24 Abs. 2 KSchG entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der Abgrenzung zwischen dem Land- und dem Flugbetrieb (Luftverkehrsbetrieb) eines Luftfahrtunternehmens.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Betriebsbegriff und Betriebsübergang in der Luftfahrt
BAG vom 01.06.2023 - 2 AZR 150/22
Ralf Steffan, ArbRB 2023, 326

Aufsatz:
Moderne Arbeitswelt - Der Betriebsbegriff in Zeiten von Digitalisierung und mobiler Arbeit
Ulrich Sittard, ArbRB 2023, 341

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