Weisungsrecht: Freistellung von Früh- und Spätschichten sowie Samstagsarbeit wegen Kinderbetreuung?
LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 13.7.2023 - 5 Sa 139/22Die Klägerin arbeitet als Bäckereiverkäuferin in einer Filiale der Beklagten. Nach dem Arbeitsvertrag vom 18.1.2013 beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden. Die Klägerin kann laut Arbeitsvertrag in sämtlichen Filialen der Beklagten eingesetzt werden. Sie ist zudem arbeitsvertraglich verpflichtet, in dem gesetzlich zulässigen Rahmen Sonntags-, Feiertags- und Mehrarbeit zu leisten.
Die Klägerin gebar im Juli 2020 Zwillinge. Mit Schreiben vom 27.9.2021 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung, weil sie an diesem Tag nicht zur Arbeitsaufnahme um 5:30 Uhr erschienen war und bis jedenfalls 12:15 Uhr eine weitere Arbeitsunfähigkeit nicht mitgeteilt hatte. Mit Schreiben vom 17.12.2021 beantragte die Klägerin, ab dem 11.1.2022, dem voraussichtlichen Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit, nur noch an den Wochentagen Montag bis Freitag (also nicht samstags) und nur noch zwischen 7:40 Uhr und 16:40 Uhr eingesetzt zu werden. Darüber hinaus beantragte sie zum 1.4.2022 eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden. Zur Begründung berief sie sich auf ihre Betreuungspflichten als alleinerziehende Mutter.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 11.1.2022 zwar nicht die beantragte Arbeitszeitverkürzung ab, widersprach jedoch der beantragten Arbeitszeitverteilung. Zur Begründung verwies sie auf die vergleichbare Position der übrigen Mitarbeiterinnen, ebenfalls mit kleinen Kindern.
Das Arbeitsgericht hat die auf Verteilung der Arbeitszeit auf Werktage gerichtete Klage abgewiesen. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten aus § 8 Abs. 4 TzBfG keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte zugleich mit der Arbeitszeitverringerung auf 35 Wochenstunden einer Arbeitszeitverteilung ausschließlich auf die Wochentage Montag bis Freitag 7:40 Uhr (bzw. 7:30 Uhr) bis 16:40 Uhr zustimmt.
Bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit muss der Arbeitgeber nach Möglichkeit auch auf die Personensorgepflichten des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen, sofern betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer/innen nicht entgegenstehen. Die Prüfung, ob betriebliche Gründe entgegenstehen, ist regelmäßig in drei Stufen vorzunehmen:
- Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt und - wenn das der Fall ist - um welches Konzept es sich handelt (erste Stufe).
- In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (zweite Stufe).
- Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen (dritte Stufe). Dabei ist die Frage zu klären, ob das betriebliche Organisationskonzept oder die zugrundeliegende unternehmerische Aufgabenstellung durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung wesentlich beeinträchtigt wird. Maßgeblich für das Vorliegen der betrieblichen Gründe ist der Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitszeitwunschs durch den Arbeitgeber, der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe trägt.
Das Organisationskonzept der Beklagten wird bestimmt durch die Öffnungszeiten der Filialen. Diesem Konzept steht die von der Klägerin gewünschte Verteilung der Arbeitszeit entgegen. Die von der Klägerin gewünschte Verteilung der Arbeitszeit führt nicht nur zu einer geringfügigen, sondern zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Organisationskonzepts.
Der Arbeitgeber darf sich bei der Interessenabwägung auf die ihm ohne weiteres nachvollziehbaren persönlichen Umstände der Beschäftigten beschränken, ohne die familiären Verhältnisse in ihren Einzelheiten näher erforschen zu müssen. Das ist ihm schon aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre seiner Beschäftigten verwehrt. Zudem kann er regelmäßig nicht zuverlässig feststellen, welche Anstrengungen seine Mitarbeiter/innen jeweils unternehmen bzw. unternehmen müssen oder können, um die Kinderbetreuung sicherzustellen. Dass es anderen Mitarbeiterinnen gelingt, ihre arbeitsvertraglichen und ihre familiären Pflichten miteinander zu vereinbaren, rechtfertigt es nicht, diese durch die vermehrte Zuweisung ungünstiger Schichten zusätzlich zu belasten und gegenüber einer alleinerziehenden Arbeitnehmerin zu benachteiligen. Für die Klägerin mag es ebenso wie für viele andere werktätige Mütter schwierig sein, die Betreuung der Kinder zu Randzeiten sicherzustellen. Ausgeschlossen ist dies jedoch nicht.
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Aufsatz
Christoph Legerlotz / Diana Nimsch
Die Vier-Tage-Woche aus arbeitsrechtlicher Sicht
ArbRB 2023, 206
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