Zur Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge
BAG v. 11.6.2020 - 2 AZR 374/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte übernahm im Jahr 2009 im Wege eines Betriebsübergangs eine im Land Brandenburg gelegene Rehaklinik, in der die Klägerin bereits zuvor als Verwaltungsleiterin tätig war. Die Gesellschafterversammlung bestellte sie im Juli 2009 zur Geschäftsführerin der Beklagten. Diese beschäftigte sie auf Grundlage eines schriftlichen Anstellungsvertrags zu einem Jahresgrundentgelt i.H.v. 100.000 € brutto, das in zwölf mtl. Raten zu zahlen war. Nach § 19 Abs. 3 des Anstellungsvertrags ersetzt dieser sämtliche zwischen den Parteien bestehenden sonstigen Regelungen. Im Juli 2017 verfassten die Klägerin und drei weitere Geschäftsführer einen Brief an den Aufsichtsrat des Vereins, dessen Tochtergesellschaft die Beklagte ist. Sie warfen dem Vereinsvorstand Untätigkeit, Unfähigkeit, eine verfehlte Personalpolitik bei der Stellenbesetzung im Verein und die fehlende Einbindung der Geschäftsführungen der Gesellschaften vor. Die Vorstandsmitglieder seien "weder menschlich noch fachlich in der Lage den Verein in die Zukunft zu führen".
Im Juli 2017 mahnte der Verein die Klägerin schriftlich ab. Im August 2017 wurde ein Vorstandsmitglied des Vereins als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beklagten in das Handelsregister eingetragen und die Alleinvertretungsbefugnis der Klägerin gestrichen. Im September 2017 wandten sich die Klägerin und zwei Geschäftsführer erneut schriftlich an den Aufsichtsrat und vertieften ihre Kritik am Vereinsvorstand. Im Rahmen eines im November 2017 mit dem Vorstand geführten Perspektivgesprächs bot die Klägerin an, die Geschäftsanteile der Beklagten zu übernehmen. Im Januar 2018 wurde die Klägerin von einer Managementkonferenz ausgeladen. Ab Mitte Februar 2018 erhielt sie keine Auszüge über den Kontostand der Beklagten mehr.
Im Februar 2018 beschloss die Gesellschafterversammlung die ordentliche Kündigung der Klägerin und ihre Abberufung als Geschäftsführerin zum 1.3.2018. Mit einem auf 27.2.2018 datierten und der Klägerin am Folgetag übergebenen Schreiben kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis ordentlich zum 31.5.2018. Bei Zugang der Kündigung war die Klägerin ehrenamtliche Richterin bei einem Arbeitsgericht im Land Brandenburg. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung des Anstellungsverhältnisses.
Das ArbG gab der Klage statt; das LAG wies sie im Wesentlichen ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LAG hat zu Recht festgestellt, dass zwischen den Parteien lediglich bis zum 30.6.2018 ein Anstellungsverhältnis bestanden hat.
Der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung vom 27.2.2018 stehen keine Unwirksamkeitsgründe entgegen. Die Kündigung gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bedurfte nicht der sozialen Rechtfertigung i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG und sie ist nicht gem. § 26 Abs. 1 ArbGG bzw. § 45 Abs. 1a Satz 3 DRiG jeweils i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin war im Zeitpunkt des Kündigungszugangs zwar ehrenamtliche Richterin an einem Arbeitsgericht. Die Kündigung fällt aber nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschriften. Einen Zusammenhang zwischen Richtertätigkeit und Kündigung hat das LAG nicht festgestellt. Die Kündigung ist nicht nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin fällt nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich der Norm. Die Kündigung der Klägerin ist nicht gem. § 612a i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin ist keine Arbeitnehmerin und fällt nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift. Dahinstehen kann, ob § 612a BGB auch arbeitnehmerähnliche Personen erfasst. Die Klägerin ist keine arbeitnehmerähnliche Person. Die Kündigung ist weder sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) noch treuwidrig (§ 242 BGB).
Das LAG hat auch zutreffend angenommen, dass die Kündigung vom 27.2.2018 das Anstellungsverhältnis der Klägerin mit der in § 621 Nr. 4 BGB bestimmten Frist von sechs Wochen zum Schluss des Kalendervierteljahrs zum 30.6.2018 beendet hat. Die Revision rügt demgegenüber zu Unrecht die unterbliebene Anwendung von § 622 Abs. 2 BGB. Die Parteien haben im Anstellungsvertrag die Frist für dessen ordentliche Kündigung nicht eigenständig geregelt, sondern lediglich auf "die gesetzliche Kündigungsfrist" Bezug genommen. Der BGH hat in zwei Entscheidungen § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. auf die Kündigung des Anstellungsverhältnisses von GmbH-Geschäftsführern angewandt, soweit diese nicht zugleich Mehrheitsgesellschafter waren. Zur Begründung hat er angeführt, es liege eine planwidrige Regelungslücke vor, nicht an der Gesellschaft beteiligte Fremdgeschäftsführer seien mit Arbeitnehmern vergleichbar und die entsprechende Anwendung des § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. statt des § 621 Nr. 3 BGB liege gleichermaßen im Interesse des Geschäftsführers und der Gesellschaft.
Die instanzgerichtliche Rechtsprechung ist dem BGH gefolgt. Auch das Schrifttum hat sich überwiegend dem BGH angeschlossen. Allerdings ist die Rechtsprechung des BGH auch auf Ablehnung gestoßen. Das BAG hat die im Angestelltenkündigungsschutzgesetz bestimmte Fristenregelung jedenfalls bei Fremdgeschäftsführern für anwendbar gehalten. Nach zutreffender Ansicht kann sich ein Geschäftsführer, der nicht Mehrheitsgesellschafter der GmbH ist und zu ihr in keinem Arbeitsverhältnis steht, nicht auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB berufen. § 622 BGB ist - seinem Wortlaut entsprechend - nur auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuwenden. Wegen der für freie Dienstverhältnisse bestehenden Regelung in § 621 BGB fehlt es an einer ausfüllungsbedürftigen planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Norm auf die Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags zuließe. Aus diesem Grund ist es rechtlich ohne Bedeutung, ob das Fristenregime in § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenwärtig noch als interessengerechter anzusehen ist, als die Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB.
Mit der ab Oktober 1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB hat der Gesetzgeber die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an Arbeitsverhältnisse betont. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass er die Kündigungsfristenregelung für (Fremd-)Geschäftsführer dort verortet sehen wollte. Wäre dies sein Wille gewesen, hätte die Neuregelung Anlass gegeben, die bestehende BGH-Rechtsprechung in eine gesetzliche Regelung zu übernehmen. Dies ist nicht erfolgt. Anhaltspunkte für ein diesbezügliches "Redaktionsversehen" des Gesetzgebers bestehen nicht. Es wäre ferner ein Wertungswiderspruch, mit der Rechtsprechung des Neunten Senats des BAG § 622 BGB nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden, wohl aber auf einen (Fremd-)Geschäftsführer, dessen geleistete Dienste nach ihrer sozialen Typik noch weniger mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind. Die Kündigungserklärung der Beklagten hat danach das Anstellungsverhältnis der Klägerin mit der Frist des § 621 Nr. 4 BGB zum 30.6.2018 beendet.
BAG online
Die Beklagte übernahm im Jahr 2009 im Wege eines Betriebsübergangs eine im Land Brandenburg gelegene Rehaklinik, in der die Klägerin bereits zuvor als Verwaltungsleiterin tätig war. Die Gesellschafterversammlung bestellte sie im Juli 2009 zur Geschäftsführerin der Beklagten. Diese beschäftigte sie auf Grundlage eines schriftlichen Anstellungsvertrags zu einem Jahresgrundentgelt i.H.v. 100.000 € brutto, das in zwölf mtl. Raten zu zahlen war. Nach § 19 Abs. 3 des Anstellungsvertrags ersetzt dieser sämtliche zwischen den Parteien bestehenden sonstigen Regelungen. Im Juli 2017 verfassten die Klägerin und drei weitere Geschäftsführer einen Brief an den Aufsichtsrat des Vereins, dessen Tochtergesellschaft die Beklagte ist. Sie warfen dem Vereinsvorstand Untätigkeit, Unfähigkeit, eine verfehlte Personalpolitik bei der Stellenbesetzung im Verein und die fehlende Einbindung der Geschäftsführungen der Gesellschaften vor. Die Vorstandsmitglieder seien "weder menschlich noch fachlich in der Lage den Verein in die Zukunft zu führen".
Im Juli 2017 mahnte der Verein die Klägerin schriftlich ab. Im August 2017 wurde ein Vorstandsmitglied des Vereins als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beklagten in das Handelsregister eingetragen und die Alleinvertretungsbefugnis der Klägerin gestrichen. Im September 2017 wandten sich die Klägerin und zwei Geschäftsführer erneut schriftlich an den Aufsichtsrat und vertieften ihre Kritik am Vereinsvorstand. Im Rahmen eines im November 2017 mit dem Vorstand geführten Perspektivgesprächs bot die Klägerin an, die Geschäftsanteile der Beklagten zu übernehmen. Im Januar 2018 wurde die Klägerin von einer Managementkonferenz ausgeladen. Ab Mitte Februar 2018 erhielt sie keine Auszüge über den Kontostand der Beklagten mehr.
Im Februar 2018 beschloss die Gesellschafterversammlung die ordentliche Kündigung der Klägerin und ihre Abberufung als Geschäftsführerin zum 1.3.2018. Mit einem auf 27.2.2018 datierten und der Klägerin am Folgetag übergebenen Schreiben kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis ordentlich zum 31.5.2018. Bei Zugang der Kündigung war die Klägerin ehrenamtliche Richterin bei einem Arbeitsgericht im Land Brandenburg. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung des Anstellungsverhältnisses.
Das ArbG gab der Klage statt; das LAG wies sie im Wesentlichen ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LAG hat zu Recht festgestellt, dass zwischen den Parteien lediglich bis zum 30.6.2018 ein Anstellungsverhältnis bestanden hat.
Der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung vom 27.2.2018 stehen keine Unwirksamkeitsgründe entgegen. Die Kündigung gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bedurfte nicht der sozialen Rechtfertigung i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG und sie ist nicht gem. § 26 Abs. 1 ArbGG bzw. § 45 Abs. 1a Satz 3 DRiG jeweils i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin war im Zeitpunkt des Kündigungszugangs zwar ehrenamtliche Richterin an einem Arbeitsgericht. Die Kündigung fällt aber nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschriften. Einen Zusammenhang zwischen Richtertätigkeit und Kündigung hat das LAG nicht festgestellt. Die Kündigung ist nicht nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin fällt nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich der Norm. Die Kündigung der Klägerin ist nicht gem. § 612a i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin ist keine Arbeitnehmerin und fällt nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift. Dahinstehen kann, ob § 612a BGB auch arbeitnehmerähnliche Personen erfasst. Die Klägerin ist keine arbeitnehmerähnliche Person. Die Kündigung ist weder sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) noch treuwidrig (§ 242 BGB).
Das LAG hat auch zutreffend angenommen, dass die Kündigung vom 27.2.2018 das Anstellungsverhältnis der Klägerin mit der in § 621 Nr. 4 BGB bestimmten Frist von sechs Wochen zum Schluss des Kalendervierteljahrs zum 30.6.2018 beendet hat. Die Revision rügt demgegenüber zu Unrecht die unterbliebene Anwendung von § 622 Abs. 2 BGB. Die Parteien haben im Anstellungsvertrag die Frist für dessen ordentliche Kündigung nicht eigenständig geregelt, sondern lediglich auf "die gesetzliche Kündigungsfrist" Bezug genommen. Der BGH hat in zwei Entscheidungen § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. auf die Kündigung des Anstellungsverhältnisses von GmbH-Geschäftsführern angewandt, soweit diese nicht zugleich Mehrheitsgesellschafter waren. Zur Begründung hat er angeführt, es liege eine planwidrige Regelungslücke vor, nicht an der Gesellschaft beteiligte Fremdgeschäftsführer seien mit Arbeitnehmern vergleichbar und die entsprechende Anwendung des § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. statt des § 621 Nr. 3 BGB liege gleichermaßen im Interesse des Geschäftsführers und der Gesellschaft.
Die instanzgerichtliche Rechtsprechung ist dem BGH gefolgt. Auch das Schrifttum hat sich überwiegend dem BGH angeschlossen. Allerdings ist die Rechtsprechung des BGH auch auf Ablehnung gestoßen. Das BAG hat die im Angestelltenkündigungsschutzgesetz bestimmte Fristenregelung jedenfalls bei Fremdgeschäftsführern für anwendbar gehalten. Nach zutreffender Ansicht kann sich ein Geschäftsführer, der nicht Mehrheitsgesellschafter der GmbH ist und zu ihr in keinem Arbeitsverhältnis steht, nicht auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB berufen. § 622 BGB ist - seinem Wortlaut entsprechend - nur auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuwenden. Wegen der für freie Dienstverhältnisse bestehenden Regelung in § 621 BGB fehlt es an einer ausfüllungsbedürftigen planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Norm auf die Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags zuließe. Aus diesem Grund ist es rechtlich ohne Bedeutung, ob das Fristenregime in § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenwärtig noch als interessengerechter anzusehen ist, als die Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB.
Mit der ab Oktober 1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB hat der Gesetzgeber die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an Arbeitsverhältnisse betont. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass er die Kündigungsfristenregelung für (Fremd-)Geschäftsführer dort verortet sehen wollte. Wäre dies sein Wille gewesen, hätte die Neuregelung Anlass gegeben, die bestehende BGH-Rechtsprechung in eine gesetzliche Regelung zu übernehmen. Dies ist nicht erfolgt. Anhaltspunkte für ein diesbezügliches "Redaktionsversehen" des Gesetzgebers bestehen nicht. Es wäre ferner ein Wertungswiderspruch, mit der Rechtsprechung des Neunten Senats des BAG § 622 BGB nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden, wohl aber auf einen (Fremd-)Geschäftsführer, dessen geleistete Dienste nach ihrer sozialen Typik noch weniger mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind. Die Kündigungserklärung der Beklagten hat danach das Anstellungsverhältnis der Klägerin mit der Frist des § 621 Nr. 4 BGB zum 30.6.2018 beendet.
Mehr zum Thema im ArbRB-Blog:
Groeger, Kündigungsfrist für Organmitglieder - BAG widerspricht der herrschenden Meinung