20.07.2012

Zur Zuständigkeit deutscher Gerichte für arbeitsrechtliche Klagen von Angestellten ausländischer Botschaften in Deutschland

Ein fremder Staat (hier: Algerien) kann sich gegenüber der arbeitsrechtlichen Klage eines Angestellten seiner Botschaft nicht auf seine Immunität berufen, wenn der Angestellte Aufgaben verrichtet, die nicht unter die Ausübung hoheitlicher Befugnisse fallen. Daher kann ein solcher Angestellter die Gerichte des Mitgliedstaats anrufen, in dem sich die betreffende Botschaft befindet.

EuGH 19.7.2012, C-154/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger besitzt die algerische und die deutsche Staatsangehörigkeit und arbeitete für den beklagten algerischen Staat als Kraftfahrer bei der algerischen Botschaft in Berlin. Er wendet sich vor den deutschen Gerichten gegen seine Kündigung und verlangt eine Vergütung. Algerien macht demgegenüber geltend, dass es als fremder Staat in Deutschland von der Gerichtsbarkeit befreit sei; diese Immunität sei durch das Völkerrecht, wonach ein Staat nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterworfen werden könne, anerkannt. Außerdem beruft sich Algerien auf die in dem Arbeitsvertrag zwischen ihm und dem Kläger enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung, der zufolge im Fall von Streitigkeiten ausschließlich die algerischen Gerichte zuständig sind.

In diesem Zusammenhang ersucht das LAG Berlin-Brandenburg den EuGH um Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, die auch Regelungen über die gerichtliche Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge enthält. Diese Regelungen sollen dem Arbeitnehmer als der schwächeren Vertragspartei einen angemessenen Schutz gewährleisten. So kann der Arbeitnehmer den Arbeitgeber, wenn dieser seinen Wohnsitz außerhalb der EU hat, vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagen, in dem sich die "Niederlassung" dieses Arbeitgebers befindet, in der der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichtet.

Die Gründe:
Die in einem Mitgliedstaat gelegene Botschaft eines Drittstaats stellt in einem Rechtsstreit über einen Arbeitsvertrag, den diese Botschaft im Namen des Entsendestaats geschlossen hat, eine "Niederlassung" i.S.d. Verordnung dar, wenn die von dem Arbeitnehmer verrichteten Aufgaben nicht unter die Ausübung hoheitlicher Befugnisse fallen. Wie jede andere öffentliche Einrichtung kann eine Botschaft zivilrechtliche Rechte und Pflichten übernehmen. Das ist der Fall, wenn sie Arbeitsverträge mit Personen schließt, die keine hoheitlichen Aufgaben verrichten.

Soweit sich Algerien auf Immunität beruft, ist zu beachten, dass diese Immunität nicht absolut gilt. Sie ist allgemein anerkannt, wenn der Rechtsstreit hoheitliche Handlungen betrifft. Sie kann hingegen ausgeschlossen sein, wenn sich der gerichtliche Rechtsbehelf auf Handlungen bezieht, die nicht unter die hoheitlichen Befugnisse fallen. Daher steht der völkerrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität der Anwendung der Verordnung nicht entgegen, wenn es um einen Rechtsstreit geht, in dem sich ein Arbeitnehmer gegen die Kündigung seines mit einem Staat geschlossenen Arbeitsvertrags wehrt, der zu verrichtende Aufgaben betrifft, die nicht unter die Ausübung hoheitlicher Befugnisse fallen.

Hinsichtlich der in den Arbeitsvertrag von Herrn Mahamdia aufgenommenen Klausel, wonach im Fall von Streitigkeiten ausschließlich die algerischen Gerichte zuständig sind, gilt, dass die Verordnung die Möglichkeit beschränkt, von den in ihr enthaltenen Zuständigkeitsvorschriften abzuweichen. Eine vor Entstehung der Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung darf den Arbeitnehmer nicht an der Anrufung der Gerichte hindern, die nach den Sonderbestimmungen dieser Verordnung für individuelle Arbeitsverträge zuständig sind. Andernfalls würde das Ziel, den Arbeitnehmer als schwächere Vertragspartei zu schützen, verfehlt.

Daher kann eine vor Entstehen einer Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung lediglich dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eröffnen, außer den nach der Verordnung normalerweise zuständigen Gerichten andere Gerichte, und zwar ggf. auch Gerichte außerhalb der Union, anzurufen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 103 vom 19.7.2012
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