12.08.2024

Zurückweisung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren hat auch die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung zur Voraussetzung, dass ein dringender Fall i.S.v. § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG vorliegt. Anderenfalls ist aufgrund mündlicher Verhandlung und damit unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden. Liegt kein dringender Fall vor, entscheidet das Arbeitsgericht aber dennoch ohne mündliche Verhandlung durch den Kammervorsitzenden allein, so liegt ein schwerer Verfahrensfehler vor, der grundsätzlich geeignet ist, die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens zu begründen.

LAG Berlin-Brandenburg v. 29.7.2024 - 12 Ta 625/24
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Untersagung, eine Stelle zu besetzen. Die bei der Antragsgegnerin, einer Arbeitgeberin des öffentlichen Dienstes, seit 2000 mit Lehraufgaben beschäftigte Antragstellerin beantragte im Wege der einstweiligen Verfügung, der Antragsgegnerin die Besetzung der Stelle bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu untersagen. Die Antragstellerin hatte sich auf diese Stelle beworben, nach Durchführung eines Auswahlverfahrens einschließlich einer Lehrprobe von der Antragsgegnerin per Mail aber eine Absage erhalten: Die Auswahlentscheidung sei zugunsten eines anderen Kandidaten ausgefallen.

Das ArbG wies den Antrag durch Beschluss des Vorsitzenden zurück. Die Antragstellerin habe den Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG als Verfügungsanspruch, insbesondere die geltend gemachte Verfehlung der Anforderungen aus der Stellenausschreibung durch den ausgewählten Bewerber, nicht glaubhaft gemacht. Außerdem führt das ArbG dazu aus, weshalb es anstelle einer Entscheidung nach mündlicher Verhandlung durch die Kammer eine Alleinentscheidung des Vorsitzenden im schriftlichen Verfahren habe treffen dürfen.

Hiergegen richtet sich die die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Das ArbG habe die Anforderungen an die Darlegungslast überspannt. Ihre Information über das Auswahlverfahren durch die Antragsgegnerin sei unzureichend. Die Bewertung der beiden Bewerber im Auswahlwahlvermerk erschöpfe sich in einer Wiedergabe des über die Lehrprobe geführten Gesprächs und einer kurzen Bemerkung zum Interview.

Das LAG hob den Beschluss des ArbG auf und verwies das einstweilige Verfügungsverfahren zur erneuten Entscheidung durch die Kammer in voller Besetzung an das ArbG zurück.

Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Kammervorsitzenden allein lagen nicht vor. Dieser Verfahrensfehler, wie er den gesetzlichen Richter berührt, führt vorliegend zur Zurückverweisung der Sache.

Nach der Regelung in § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG kann die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in dringenden Fällen, auch dann, wenn der Antrag zurückzuweisen ist, ohne mündliche Verhandlung ergehen. Auch die Zurückweisung des Antrags ohne mündliche Verhandlung hat danach zur Voraussetzung, dass ein dringender Fall vorliegt. Anderenfalls ist aufgrund mündlicher Verhandlung und damit unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden.

Unterbleibt eine mündliche Verhandlung, obwohl kein dringender Fall vorliegt, so stellt dies einen gewichtigen Verfahrensfehler dar. Ein Gericht, das ohne Vorliegen eines dringenden Falles dennoch ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden allein entscheidet, beachtet dabei nicht den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewährleistung des gesetzlichen Richters. Denn es nimmt damit durch den Vorsitzenden allein eine Entscheidungskompetenz in Anspruch, die ihm nicht zusteht, weil die Kammer aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung zur Entscheidung berufen ist. Darüber hinaus verkürzt beziehungsweise beschränkt das Gericht in der Regel bei einer solchen Vorgehensweise auch das Gebot des rechtlichen Gehörs des Antragstellers.

In Anwendung dieser Grundsätze war der Beschluss des ArbG aufzuheben und das Verfahren über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach dort zur Verhandlung vor der Kammer zurückzuverweisen. Ein dringender Fall i.S.v. § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ist nicht gegeben. Daher waren hier Aufhebung und Zurückverweisung geboten. Zu berücksichtigen war, dass ein schwerwiegender Verfahrensfehler vorliegt mit Auswirkungen insbesondere auf die Bestimmung der zur Entscheidung zuständigen Richter. Durch die Alleinentscheidung hat das ArbG die Beteiligten entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ihrem gesetzlichen Richter entzogen.

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Kommentierung | ArbGG
§ 62 Zwangsvollstreckung
Ziemann in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 11. Aufl. 2024
11. Aufl./Lfg. 04.2024

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