Fristenkontrolle des Rechtsanwalts im Home-Office
OLG Dresden v. 12.8.2024 - 4 U 862/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung. Mit dem der Klägervertreterin am 22.5.2024 zugestellten Urteil hatte das LG die Klage abgewiesen. Die Berufungsschrift ist am Montag, dem 24.6.2024, die Berufungsbegründung am Mittwoch, dem 24.7.2024 auf dem Server des OLG eingegangen. Mit Verfügung vom 25.7.2024, der Klägervertreterin zugegangen am 31.7.2024, wurde der Kläger auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen.
Mit am 7.8.2024 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Kanzleimitarbeiterin seiner Prozessbevollmächtigten sowie eines Auszugs aus deren kanzleiinternen Fristenkalender behauptet er, die fehlerhafte Eintragung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Versehen der seit 2013 ohne Beanstandungen mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Kanzleikraft H. Im vorliegenden Fall habe die Prozessbevollmächtigte zusätzlich noch eine Einzelanweisung erteilt, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen, nachdem sich die Kanzleikraft wegen einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung unter dem erstinstanzlichen Urteil hilfesuchend an sie gewandt habe.
Die Berufungsbegründung habe die Prozessbevollmächtigte sodann vor Antritt ihres vom 18.7. - 23.7.2024 dauernden Urlaubs entworfen und die Kanzleikraft mit deren Ausfertigung beauftragt. Den Fehler in der Fristenberechnung habe sie nicht bemerkt, da sie "mit elektronischen Dokumenten" arbeite, das Empfangsbekenntnis zu dem in Papierform übersandten Urteil des Landgerichts sich jedoch "in der Papierakte" befunden habe. Die Berufungsbegründung sei sodann nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub am 24.7.2024 versandt worden.
Das OLG hat die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.
Die Gründe:
Die gemäß § 520 ZPO bestimmte zweimonatige Frist lief am 22.7.2024 ab. Diese Frist hat der Kläger versäumt. Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zwar ist die bis zum 22.8.2024 laufende Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO gewahrt, auch hat der Kläger innerhalb dieser Frist die Berufungsbegründung nachgeholt. Ein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 233 ZPO liegt aber nicht vor. Das Fristversäumnis beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Dem Kläger ist das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten anzulasten, die von der Kanzleikraft erfolgte Fristberechnung nicht eigenständig überprüft zu haben, als sie vor ihrem am 18.7.2024 beginnenden Urlaub die Berufungsbegründung im Entwurf erstellte. Auch wenn der Rechtsanwalt (nach Eingang des Urteils in der Kanzlei) seine Angestellte im Wege einer Einzelanweisung zur Eintragung der korrekten Frist angehalten hat, befreit ihn dies nicht davon, im Rahmen der Vorbereitung einer Prozesshandlung (wie der Einlegung der Berufung) die Richtigkeit der Notierung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen.
Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auch bei Vorlage aufgrund einer Vorfrist ist die Richtigkeit der eingetragenen Frist zu überprüfen (BGH v. 22.11.2022 - VIII ZB 2/22, MDR 2023, 453).
Im Anschluss an diese gefestigte Rechtsprechung hätte es daher der Prozessbevollmächtigten oblegen, sich anhand der Handakte, in der das Datum der Zustellung des angefochtenen Urteils vermerkt war, eigenständig die Gewissheit zu verschaffen, dass die Berufungsbegründungsfrist ausgehend hiervon korrekt berechnet war. Hätte sie dies getan, wäre ihr zwanglos aufgefallen, dass die Kanzleikraft vorliegend fehlerhaft die Begründungsfrist ausgehend vom Ende der Berufungsfrist berechnet hatte, die auf einen Montag fiel und daher zu einer entsprechenden Verlängerung nur dieser Frist geführt hatte (§§ 222 ZPO, 193 BGB).
Dieses Versäumnis entfällt auch nicht deshalb, weil der Prozessbevollmächtigten ausweislich des Wiedereinsetzungsantrags nicht die in Papier geführte Handakte vorgelegt wurde, sondern sie die Berufungsbegründung lediglich ausgehend von "elektronischen Dokumenten" gefertigt hat. Die anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich vorgelegt worden ist, so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist (vgl. BGH v. 8.2.2010 - II ZB 10/09; Greger in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 233 ZPO, Rn. 23.18).
Entscheidend für eine eigenständige Fristenprüfung durch den Rechtsanwalt ist allein, ob die Bearbeitung mit dem Ziel einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, d.h. hier der Berufungsbegründung erfolgt. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn der Rechtsanwalt die fristgebundene Verfahrenshandlung im Wege der Tele,- oder Fernarbeit erstellt. Er hat in diesen Fällen dafür Sorge zu tragen, dass ihm dabei entweder die Papierhandakte vorliegt oder diese in eine elektronische Form übertragen wird, auf die er auch von auswärts zugreifen kann. Die an den Rechtsanwalt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen werden durch die mit dem mobilen Arbeiten verbundene Ortsunabhängigkeit indes in keiner Weise eingeschränkt.
Mehr zu Thema:
Aufsatz:
Rechtsprechungsübersicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Norbert Vossler, MDR 2024, 474
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Die Parteien streiten um Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung. Mit dem der Klägervertreterin am 22.5.2024 zugestellten Urteil hatte das LG die Klage abgewiesen. Die Berufungsschrift ist am Montag, dem 24.6.2024, die Berufungsbegründung am Mittwoch, dem 24.7.2024 auf dem Server des OLG eingegangen. Mit Verfügung vom 25.7.2024, der Klägervertreterin zugegangen am 31.7.2024, wurde der Kläger auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen.
Mit am 7.8.2024 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Kanzleimitarbeiterin seiner Prozessbevollmächtigten sowie eines Auszugs aus deren kanzleiinternen Fristenkalender behauptet er, die fehlerhafte Eintragung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Versehen der seit 2013 ohne Beanstandungen mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Kanzleikraft H. Im vorliegenden Fall habe die Prozessbevollmächtigte zusätzlich noch eine Einzelanweisung erteilt, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen, nachdem sich die Kanzleikraft wegen einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung unter dem erstinstanzlichen Urteil hilfesuchend an sie gewandt habe.
Die Berufungsbegründung habe die Prozessbevollmächtigte sodann vor Antritt ihres vom 18.7. - 23.7.2024 dauernden Urlaubs entworfen und die Kanzleikraft mit deren Ausfertigung beauftragt. Den Fehler in der Fristenberechnung habe sie nicht bemerkt, da sie "mit elektronischen Dokumenten" arbeite, das Empfangsbekenntnis zu dem in Papierform übersandten Urteil des Landgerichts sich jedoch "in der Papierakte" befunden habe. Die Berufungsbegründung sei sodann nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub am 24.7.2024 versandt worden.
Das OLG hat die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.
Die Gründe:
Die gemäß § 520 ZPO bestimmte zweimonatige Frist lief am 22.7.2024 ab. Diese Frist hat der Kläger versäumt. Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zwar ist die bis zum 22.8.2024 laufende Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO gewahrt, auch hat der Kläger innerhalb dieser Frist die Berufungsbegründung nachgeholt. Ein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 233 ZPO liegt aber nicht vor. Das Fristversäumnis beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Dem Kläger ist das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten anzulasten, die von der Kanzleikraft erfolgte Fristberechnung nicht eigenständig überprüft zu haben, als sie vor ihrem am 18.7.2024 beginnenden Urlaub die Berufungsbegründung im Entwurf erstellte. Auch wenn der Rechtsanwalt (nach Eingang des Urteils in der Kanzlei) seine Angestellte im Wege einer Einzelanweisung zur Eintragung der korrekten Frist angehalten hat, befreit ihn dies nicht davon, im Rahmen der Vorbereitung einer Prozesshandlung (wie der Einlegung der Berufung) die Richtigkeit der Notierung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen.
Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auch bei Vorlage aufgrund einer Vorfrist ist die Richtigkeit der eingetragenen Frist zu überprüfen (BGH v. 22.11.2022 - VIII ZB 2/22, MDR 2023, 453).
Im Anschluss an diese gefestigte Rechtsprechung hätte es daher der Prozessbevollmächtigten oblegen, sich anhand der Handakte, in der das Datum der Zustellung des angefochtenen Urteils vermerkt war, eigenständig die Gewissheit zu verschaffen, dass die Berufungsbegründungsfrist ausgehend hiervon korrekt berechnet war. Hätte sie dies getan, wäre ihr zwanglos aufgefallen, dass die Kanzleikraft vorliegend fehlerhaft die Begründungsfrist ausgehend vom Ende der Berufungsfrist berechnet hatte, die auf einen Montag fiel und daher zu einer entsprechenden Verlängerung nur dieser Frist geführt hatte (§§ 222 ZPO, 193 BGB).
Dieses Versäumnis entfällt auch nicht deshalb, weil der Prozessbevollmächtigten ausweislich des Wiedereinsetzungsantrags nicht die in Papier geführte Handakte vorgelegt wurde, sondern sie die Berufungsbegründung lediglich ausgehend von "elektronischen Dokumenten" gefertigt hat. Die anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich vorgelegt worden ist, so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist (vgl. BGH v. 8.2.2010 - II ZB 10/09; Greger in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 233 ZPO, Rn. 23.18).
Entscheidend für eine eigenständige Fristenprüfung durch den Rechtsanwalt ist allein, ob die Bearbeitung mit dem Ziel einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, d.h. hier der Berufungsbegründung erfolgt. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn der Rechtsanwalt die fristgebundene Verfahrenshandlung im Wege der Tele,- oder Fernarbeit erstellt. Er hat in diesen Fällen dafür Sorge zu tragen, dass ihm dabei entweder die Papierhandakte vorliegt oder diese in eine elektronische Form übertragen wird, auf die er auch von auswärts zugreifen kann. Die an den Rechtsanwalt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen werden durch die mit dem mobilen Arbeiten verbundene Ortsunabhängigkeit indes in keiner Weise eingeschränkt.
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