Sperriges Nachlassverzeichnis: Notarbeschwerdeverfahren wegen Verweigerung der Amtstätigkeit des Notars
BGH v. 19.6.2024 - IV ZB 13/23
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin begehrt als Alleinerbin des Erblassers, dessen Lebensgefährtin sie war, die Anweisung an den Notar, ein notarielles Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Sie war zur Auskunftserteilung mittels Vorlage eines solchen verurteilt worden. Die Beschwerdeführerin beauftragte den Notar im Februar 2021 mit der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses. Dieser stellte eigene Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses an, indem er in den elektronischen Grundbüchern mehrerer Amtsgerichte recherchierte sowie zehn Kreditinstitute um Auskunft über Geschäftsverbindungen zum Erblasser ersuchte.
Ein Jahr später lehnte der Notar die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mit der Begründung ab, er sei nicht in der Lage, ein den hohen Anforderungen der Rechtsprechung genügendes Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Seine Ermittlungsmöglichkeiten betrachte er als ausgeschöpft. Die Beschwerdeführerin könne zu klärungsbedürftigen Sachverhalten, auch weil der Erblasser nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit ihr Lebensgefährte gewesen sei, keine hinreichend sicheren Angaben machen. Nach ihren Angaben gäbe es noch eine Vielzahl an Dokumentenordnern, zu deren Sichtung sie bislang nicht gekommen sei. Hinsichtlich des fiktiven Nachlasses habe sie lediglich von Schenkungen an die Enkelin des Erblassers berichtet, ohne jedoch deren Höhe und Zeitpunkte benennen zu können. Da die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme, könne er aufgrund der Vielzahl unklarer Sachverhalte ein Nachlassverzeichnis nicht errichten.
Das Beschwerdegericht war der Ansicht, es liege ein ausreichender Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO vor, der den Notar zur Verweigerung des Amtsgeschäfts berechtige. Die von ihm angestellten eigenen Ermittlungen seien angemessen und ausreichend gewesen. Er sei darauf angewiesen, dass ihm die Erben die für den Nachlass relevanten Unterlagen zur Verfügung stellen und Auskünfte erteilen, aus denen sich auch der fiktive Nachlass ergebe. Da sich die Beschwerdeführerin hierzu nicht in der Lage sehe, könne der Notar mit den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen kein umfassendes und inhaltlich richtiges Nachlassverzeichnis erstellen. Auch die Sichtung nach Auskunft des Notars möglicherweise existierender weiterer Unterlagen würde nicht dazu führen, dass ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Nachlassverzeichnis erstellt werden könne. Zu Schenkungen und Zuwendungen des Erblassers an Dritte könne der Notar zwar auch diese selbst befragen. Ihm stünden aber keine Zwangsmittel zur Verfügung, um diese Informationen tatsächlich zu erhalten. Mit den Pflichtteilsberechtigten habe der Notar gesprochen. Dem Notar sei es lediglich bei Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit des Nachlassverzeichnisses möglich, diese zu vermerken. Stehe aber - wie hier - die Unvollständigkeit des Nachlassverzeichnisses fest, so müsse der Notar die Amtshandlung ablehnen, da er andernfalls unter Verstoß gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten würde.
Der BGH hat nach Rechtsbeschwerde den Notar angewiesen, ein Verzeichnis über den Nachlass des Erblassers aufzunehmen.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts war der Notar nicht berechtigt, die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses abzulehnen. Diese Tätigkeit stellt sich gemäß § 10a Abs. 2, § 20 Abs. 1 Satz 2 BNotO als Urkundstätigkeit dar, die der Notar nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO nicht ohne ausreichenden Grund verweigern darf, an dem es hier fehlt.
Im Hinblick auf die Urkundsgewährungspflicht des Notars sind an die Annahme eines ausreichenden Grundes im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO, der den Notar zur Verweigerung der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB und damit seiner Urkundstätigkeit berechtigt, hohe Anforderungen zu stellen.
Ein zwingender Ablehnungsgrund liegt hier nicht vor. Der Notar darf im Streitfall die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses insbesondere nicht deswegen ablehnen, weil sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar wäre (§ 14 Abs. 2 BNotO). Die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Notar würde andernfalls unter Verstoß gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten, verkennt Inhalt und Umfang der dem Notar im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses obliegenden Amtspflicht.
Selbst wenn die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall ihrer Mitwirkungspflicht bislang nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen sein sollte, berechtigt dies den Notar angesichts des Bestehens weiterer Ermittlungsansätze nicht zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit. Dass ihm keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen, um von der Erbin - der Beschwerdeführerin - und sonstigen Auskunftspersonen eine richtige und vollständige Auskunft zu erhalten, entbindet ihn nicht davon, naheliegende Nachforschungen anzustellen. Aufgrund der ihm obliegenden eigenständigen Ermittlungspflicht kommen hier insbesondere folgende Ermittlungen in Betracht:
(1) Erkenntnisse zum Nachlassbestand können sich aus bislang fehlenden Kontoauszügen ergeben.
(2) Hinsichtlich des von der Auskunftspflicht umfassten fiktiven Nachlasses hätte ferner Veranlassung bestanden, die Enkelin, die nach den Angaben der Beschwerdeführerin vom Erblasser beschenkt worden ist, und für den Fall, dass Schenkungen (auch) während ihrer Minderjährigkeit erfolgt sein sollten, deren gesetzliche Vertreter für diesen Zeitraum, sowie sämtliche Pflichtteilsberechtigten zu befragen.
Sollten nach Durchführung der aufgeführten und etwaiger weiterer, vom Notar nach den dargelegten Grundsätzen vorzunehmenden Nachforschungen Unklarheiten verbleiben, so berechtigt dieser Umstand den Notar jedenfalls nicht, die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mit der Begründung abzulehnen, dies sei mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar.
Rechtsfehlerhaft meint das Beschwerdegericht, der Notar würde in diesem Fall gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten. Die von der Rechtsprechung für über ein Rechtsgeschäft aufgenommene notarielle Urkunden entwickelte Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit ist auf das notarielle Nachlassverzeichnis, das seiner Rechtsnatur nach eine (einseitige) Wissenserklärung darstellt nicht übertragbar und kann daher nicht zur Begründung einer Verweigerung der Amtstätigkeit herangezogen werden.
Aus den Grundsätzen über den Umfang der Auskunftspflicht kann ebenfalls nicht auf eine Berechtigung des Notars, bei verbleibenden Unklarheiten die Urkundstätigkeit zu verweigern, geschlossen werden.
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Die Beschwerdeführerin begehrt als Alleinerbin des Erblassers, dessen Lebensgefährtin sie war, die Anweisung an den Notar, ein notarielles Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Sie war zur Auskunftserteilung mittels Vorlage eines solchen verurteilt worden. Die Beschwerdeführerin beauftragte den Notar im Februar 2021 mit der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses. Dieser stellte eigene Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses an, indem er in den elektronischen Grundbüchern mehrerer Amtsgerichte recherchierte sowie zehn Kreditinstitute um Auskunft über Geschäftsverbindungen zum Erblasser ersuchte.
Ein Jahr später lehnte der Notar die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mit der Begründung ab, er sei nicht in der Lage, ein den hohen Anforderungen der Rechtsprechung genügendes Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Seine Ermittlungsmöglichkeiten betrachte er als ausgeschöpft. Die Beschwerdeführerin könne zu klärungsbedürftigen Sachverhalten, auch weil der Erblasser nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit ihr Lebensgefährte gewesen sei, keine hinreichend sicheren Angaben machen. Nach ihren Angaben gäbe es noch eine Vielzahl an Dokumentenordnern, zu deren Sichtung sie bislang nicht gekommen sei. Hinsichtlich des fiktiven Nachlasses habe sie lediglich von Schenkungen an die Enkelin des Erblassers berichtet, ohne jedoch deren Höhe und Zeitpunkte benennen zu können. Da die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme, könne er aufgrund der Vielzahl unklarer Sachverhalte ein Nachlassverzeichnis nicht errichten.
Das Beschwerdegericht war der Ansicht, es liege ein ausreichender Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO vor, der den Notar zur Verweigerung des Amtsgeschäfts berechtige. Die von ihm angestellten eigenen Ermittlungen seien angemessen und ausreichend gewesen. Er sei darauf angewiesen, dass ihm die Erben die für den Nachlass relevanten Unterlagen zur Verfügung stellen und Auskünfte erteilen, aus denen sich auch der fiktive Nachlass ergebe. Da sich die Beschwerdeführerin hierzu nicht in der Lage sehe, könne der Notar mit den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen kein umfassendes und inhaltlich richtiges Nachlassverzeichnis erstellen. Auch die Sichtung nach Auskunft des Notars möglicherweise existierender weiterer Unterlagen würde nicht dazu führen, dass ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Nachlassverzeichnis erstellt werden könne. Zu Schenkungen und Zuwendungen des Erblassers an Dritte könne der Notar zwar auch diese selbst befragen. Ihm stünden aber keine Zwangsmittel zur Verfügung, um diese Informationen tatsächlich zu erhalten. Mit den Pflichtteilsberechtigten habe der Notar gesprochen. Dem Notar sei es lediglich bei Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit des Nachlassverzeichnisses möglich, diese zu vermerken. Stehe aber - wie hier - die Unvollständigkeit des Nachlassverzeichnisses fest, so müsse der Notar die Amtshandlung ablehnen, da er andernfalls unter Verstoß gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten würde.
Der BGH hat nach Rechtsbeschwerde den Notar angewiesen, ein Verzeichnis über den Nachlass des Erblassers aufzunehmen.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts war der Notar nicht berechtigt, die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses abzulehnen. Diese Tätigkeit stellt sich gemäß § 10a Abs. 2, § 20 Abs. 1 Satz 2 BNotO als Urkundstätigkeit dar, die der Notar nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO nicht ohne ausreichenden Grund verweigern darf, an dem es hier fehlt.
Im Hinblick auf die Urkundsgewährungspflicht des Notars sind an die Annahme eines ausreichenden Grundes im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO, der den Notar zur Verweigerung der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB und damit seiner Urkundstätigkeit berechtigt, hohe Anforderungen zu stellen.
Ein zwingender Ablehnungsgrund liegt hier nicht vor. Der Notar darf im Streitfall die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses insbesondere nicht deswegen ablehnen, weil sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar wäre (§ 14 Abs. 2 BNotO). Die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Notar würde andernfalls unter Verstoß gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten, verkennt Inhalt und Umfang der dem Notar im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses obliegenden Amtspflicht.
Selbst wenn die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall ihrer Mitwirkungspflicht bislang nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen sein sollte, berechtigt dies den Notar angesichts des Bestehens weiterer Ermittlungsansätze nicht zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit. Dass ihm keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen, um von der Erbin - der Beschwerdeführerin - und sonstigen Auskunftspersonen eine richtige und vollständige Auskunft zu erhalten, entbindet ihn nicht davon, naheliegende Nachforschungen anzustellen. Aufgrund der ihm obliegenden eigenständigen Ermittlungspflicht kommen hier insbesondere folgende Ermittlungen in Betracht:
(1) Erkenntnisse zum Nachlassbestand können sich aus bislang fehlenden Kontoauszügen ergeben.
(2) Hinsichtlich des von der Auskunftspflicht umfassten fiktiven Nachlasses hätte ferner Veranlassung bestanden, die Enkelin, die nach den Angaben der Beschwerdeführerin vom Erblasser beschenkt worden ist, und für den Fall, dass Schenkungen (auch) während ihrer Minderjährigkeit erfolgt sein sollten, deren gesetzliche Vertreter für diesen Zeitraum, sowie sämtliche Pflichtteilsberechtigten zu befragen.
Sollten nach Durchführung der aufgeführten und etwaiger weiterer, vom Notar nach den dargelegten Grundsätzen vorzunehmenden Nachforschungen Unklarheiten verbleiben, so berechtigt dieser Umstand den Notar jedenfalls nicht, die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mit der Begründung abzulehnen, dies sei mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar.
Rechtsfehlerhaft meint das Beschwerdegericht, der Notar würde in diesem Fall gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten. Die von der Rechtsprechung für über ein Rechtsgeschäft aufgenommene notarielle Urkunden entwickelte Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit ist auf das notarielle Nachlassverzeichnis, das seiner Rechtsnatur nach eine (einseitige) Wissenserklärung darstellt nicht übertragbar und kann daher nicht zur Begründung einer Verweigerung der Amtstätigkeit herangezogen werden.
Aus den Grundsätzen über den Umfang der Auskunftspflicht kann ebenfalls nicht auf eine Berechtigung des Notars, bei verbleibenden Unklarheiten die Urkundstätigkeit zu verweigern, geschlossen werden.
Rechtsprechung:
Zur Frage der Höhe der anwaltlichen Verfahrensgebühr im Notarbeschwerdeverfahren
OLG Frankfurt vom 20.4.2023 - 20 W 82/23
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