07.12.2023

§ 17 EStG: Keine Anwendung des KapErhStG auf Genossenschaftsanteile

1. Die Kündigung des Geschäftsguthabens an einer Genossenschaft nach § 65 des Genossenschaftsgesetzes ist als Veräußerungstatbestand im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu werten.
2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus der Kündigung von Genossenschaftsanteilen, die aus eigenen Mitteln der Genossenschaft geschaffen wurden, ist der Anwendungsbereich des § 3 i.V.m. § 1 des Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer (KapErhStG) nicht eröffnet.
3. Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes gebietet keine Einbeziehung von Genossenschaften in den Anwendungsbereich von § 3 i.V.m. § 1 KapErhStG.
4. Soweit die Gewährung von Vertrauensschutz wegen unechter Rückwirkung im Zusammenhang mit der Einführung von § 17 Abs. 7 EStG in Betracht kommt, gilt dies jedenfalls nur für bis zum Inkrafttreten dieser Regelung zum 13.12.2006 angefallene Wertsteigerungen.

Kurzbesprechung
BFH v. 26.9.2023 - IX R 19/21

EStG § 17 Abs 1 S 1, § 17 Abs 2 S 1, § 17 Abs 4 S 1, § 17 Abs 7
GG Art 3
KStG § 1 Abs 1 Nr. 1, § 1 Abs 1 Nr. 2
KapErhStG § 1, § 3
GenG § 65


Im Streitfall ging es um die Frage, ob § 3 KapErhStG auf Anteile an Genossenschaften im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte nach § 17 EStG anzuwenden ist. Der BFH hat dies verneint.

Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft qualifiziert ‑ das heißt unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % ‑ beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen gehalten hat. Als Anteile im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gelten nach Abs. 7 der Vorschrift auch Anteile an einer Genossenschaft einschließlich der Europäischen Genossenschaft.

Sowohl die Übertragung des Geschäftsguthabens an einer Genossenschaft nach § 76 GenG als auch die Kündigung der Mitgliedschaft nach § 65 GenG sind ‑ unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG ‑ als Veräußerungstatbestände im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 EStG zu werten.

Welche Aufwendungen unter den in § 17 Abs. 2 EStG verwendeten Begriff der Anschaffungskosten fallen, bestimmt inzwischen § 17 Abs. 2a EStG. Diese durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451) eingeführte Regelung fand im Streitfall jedoch noch keine Anwendung.

Bis zur Einführung von § 17 Abs. 2a EStG wurde der in § 17 Abs. 2 EStG verwendete Begriff der "Anschaffungskosten" von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Sinne des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 HGB ausgelegt. Danach sind Anschaffungskosten unter anderem Aufwendungen, die ‑ "tatsächlich" geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben.

Im Streitfall hatte das FG im Ergebnis zutreffend keine originär auf die streitgegenständlichen Genossenschaftsanteile entfallenden Anschaffungskosten angenommen. Denn der Steuerpflichtigen waren für die streitgegenständlichen, erst nach Umwandlung der LPG in die e.G. erworbenen Genossenschaftsanteile tatsächlich keine Anschaffungskosten entstanden.

Nach § 3 KapErhStG gelten als Anschaffungskosten der vor der Erhöhung des Nennkapitals erworbenen Anteilsrechte und der auf sie entfallenen neuen Anteilsrechte die Beträge, die sich für die einzelnen Anteilsrechte ergeben, wenn die Anschaffungskosten der vor der Erhöhung des Nennkapitals erworbenen Anteilsrechte auf diese und auf die auf sie entfallenen neuen Anteilsrechte nach dem Verhältnis der Anteile am Nennkapital verteilt werden. Der BFH entschied, dass § 3 KapErhStG auf Anteile an Genossenschaften nicht anwendbar ist. Zwar enthält der Wortlaut der Vorschrift unmittelbar keine Bestimmung ihres Anwendungsbereichs. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 1 KapErhStG auf Kapitalgesellschaften im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des KStG schlägt jedoch auf § 3 KapErhStG durch.

Die Aufteilung der Anschaffungskosten der vor der Erhöhung des Nennkapitals erworbenen Anteile auf die durch die Erhöhung entfallenden Anteilsrechte nach § 3 KapErhStG setzt eine Kapitalmaßnahme im Sinne von § 1 KapErhStG voraus. Während § 1 KapErhStG die Steuerfreiheit des Werts der neuen Anteile bei einer Erhöhung des Nennkapitals durch Umwandlung von Gesellschaftsmitteln regelt, normiert § 3 KapErhStG die steuerliche Bemessung der aus dieser Umwandlung resultierenden Anschaffungskosten.

Genossenschaften sind auch nicht im Wege einer rechtsfortbildenden Analogie oder teleologischen Extension in den Anwendungsbereich von § 3 i.V.m. § 1 KapErhStG einzubeziehen. Auch verletzt die Besteuerung des Veräußerungsgewinns nicht geschütztes Vertrauen. Der BFH verneinte auch einen Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs in Form einer Überraschungsentscheidung.

Letztlich entfaltet die Einbeziehung von Genossenschaftsanteilen in den Anwendungsbereich von § 17 EStG durch die Einführung von § 17 Abs. 7 EStG keine echte Rückwirkung. Die Vorschrift war im Hinblick auf das Entstehen der Steuerschuld erstmalig für den bei Verkündung noch laufenden Veranlagungszeitraum anzuwenden. Soweit nach der Rechtsprechung des BVerfG jedoch ein Vertrauensschutz wegen unechter Rückwirkung in Betracht kommt, da mit der Einführung von § 17 Abs. 7 EStG erstmals Wertsteigerungen von Genossenschaftsanteilen steuererheblich werden, konnte der BFH offenlassen, inwiefern die Einbeziehung von Genossenschaften durch die Einfügung von § 17 Abs. 7 EStG in § 17 EStG gerechtfertigt ist. Denn die Steuerpflichtige hatte die streitgegenständlichen Genossenschaftsanteile erst nach Inkrafttreten von § 17 Abs. 7 EStG zum 13.12.2006, erworben.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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