11.01.2024

§ 23 EStG: Kein anteiliger Erwerb eines zur Erbmasse gehörenden Grundstücks bei entgeltlichem Erwerb eines Miterbenanteils

Der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer Erbengemeinschaft führt nicht zur anteiligen Anschaffung eines zum Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft gehörenden Grundstücks (Änderung der Rechtsprechung sowie entgegen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14.03.2006, BStBl I 2006, 253, Rz 43).

Kurzbesprechung
BFH v. 26.9.2023 - IX R 13/22

EStG § 6, § 9, § 22 Nr. 2, § 23 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 23 Abs 1 S 4, § 23 Abs 3
FGO § 118 Abs 2
HGB § 255 Abs 1
AO § 39 Abs 2 Nr. 2


Streitig war das Vorliegen von Einkünften nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG wegen der Veräußerung von zur Erbmasse gehörendem Grundbesitz nach dem Erwerb aller übrigen Miterbenanteile durch einen Erben. Während das FG von einem steuerpflichtigen Veräußerungsvorgang ausging und die Klage abwies, gab der BFH dem Steuerpflichtigen recht und verneinte die Anwendung von § 23 EStG im Streitfall.

Die in § 23 EStG verwendeten Begriffe "Anschaffung" und "Anschaffungskosten" sind im Sinne des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 HGB auszulegen. Unter Anschaffung beziehungsweise Veräußerung im Sinne des § 23 EStG ist danach die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten zu verstehen.

Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 HGB unter anderem die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 23 EStG sollen innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Wertänderungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer unterworfen werden. Daraus ergibt sich das Erfordernis der Nämlichkeit von angeschafftem und innerhalb der Haltefristen veräußertem Wirtschaftsgut, wobei Nämlichkeit Identität im wirtschaftlichen Sinn bedeutet. Wirtschaftliche Teilidentität ist grundsätzlich ausreichend, begründet ein privates Veräußerungsgeschäft aber nur für diesen Teil des betreffenden Wirtschaftsguts.

Ob und in welchem Umfang Nämlichkeit gegeben ist oder ein anderes Wirtschaftsgut ("aliud") vorliegt, richtet sich nach einem wertenden Vergleich von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Maßgebliche Kriterien sind die Gleichartigkeit, Funktionsgleichheit und Gleichwertigkeit von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut.

Der BFH entschied, dass im Grundsatz der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer gesamthänderischen Beteiligung nicht zur (anteiligen) Anschaffung der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens führt (entgegen BMF -Schreiben v. 14.03.2006, BStBl I 2006, 253, Rz 43).denn eine gesamthänderische Beteiligung ist kein Grundstück und auch kein Recht, das den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegt. Das gilt selbst dann, wenn sich im Gesamthandsvermögen nur Grundstücke befinden.

Der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ist zivilrechtlich zu verstehen. Eine gesamthänderische Beteiligung vermittelt aber keinen sachenrechtlich fassbaren Anteil und infolgedessen auch kein Verfügungsrecht des einzelnen an den Gegenständen des Gesamthandsvermögens. Sie kann deshalb einem Grundstück oder einem grundstücksgleichen Recht nicht gleichgestellt werden.

Daran ändert § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO nichts. Denn nach dieser Vorschrift wird eine anteilige Zurechnung im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG nur erforderlich, wenn die Gesamthand selbst, die nicht Schuldnerin der Einkommensteuer ist, den Besteuerungstatbestand erfüllt. Bei Anschaffungs- oder Veräußerungsvorgängen, die ‑ wie im Streitfall ‑ von einzelnen Gesellschaftern oder Gemeinschaftern verwirklicht werden, ist dagegen eine Zurechnung nach Bruchteilen nicht erforderlich. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ist daher nicht anzuwenden, wenn der Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts deshalb nicht erfüllt ist, weil kein Grundstück, sondern ein Gesellschafts- oder Gemeinschaftsanteil angeschafft worden ist. Soweit der BFH mit Urteil vom 20.04.2004 - IX R 5/02 (BStBl II 2004, 987) eine hiervon abweichende Auffassung vertreten hat, hält er hieran nicht länger fest.

Auch aus § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Vorschrift gilt die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter. Die Vorschrift erfasst nach ihrem klaren und eindeutigen Wortlaut nur Beteiligungen an Personengesellschaften. Dies schließt eine Anwendung der Regelung auf Erbengemeinschaften aus, da diese nicht zu den Personengesellschaften zählen. Für eine Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG über den gesetzeswortlaut hinaus hinaus fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.

Im Streitfall lagen daher die Voraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht vor, denn es bestand keine Nämlichkeit zwischen dem angeschafften und dem veräußerten Wirtschaftsgut. Aufgrund notarieller Urkunde vom 20.10.2017 erwarb der Steuerpflichtige die Erbanteile der beiden Kinder der Erblasserin, mithin die quotenmäßig bestimmte Teilhaberschaft an der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft. Mit notarieller Urkunde vom 09.02.2018 veräußerte er hingegen das aus dem Nachlass stammende Grundstück.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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